Die nervöse Koalition

In der Generaldebatte zum Bundeshaushalt machten sich Union und SPD gegenseitig Vorwürfe

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 5 Min.

Vor wenigen Monaten hätte es sich Angela Merkel wohl nicht einmal träumen lassen, dass sie Horst Seehofer einmal vehement verteidigen würde. Die Kanzlerin und der Bayer waren wegen der Flüchtlingspolitik zerstritten. Doch während der Generaldebatte zum Bundeshaushalt hat sich Merkel am Mittwochmorgen vorgenommen, ihre Koalitionspartner von der SPD in die Schranken zu weisen und den CSU-Politiker, der inzwischen nicht mehr aus München gegen die Bundesregierung pöbeln kann, sondern sich an die Kabinettsdisziplin halten muss, in Schutz zu nehmen.

Sie könne es nicht nachvollziehen, dass nach nicht einmal 100 Tagen im Amt behauptet werde, »dass der Innenminister die Probleme beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht im Griff hat«, sagt Merkel am Rednerpult. »Das wollte ich nur mal unter Koalitionsfreunden sagen«, fügt die CDU-Chefin giftig hinzu. Seehofer, der zwischen seinen Kabinettskollegen auf der Regierungsbank sitzt, ist mit den Ausführungen der Kanzlerin sichtlich zufrieden.

Weniger begeistert ist man in den Reihen der Sozialdemokraten. Bei der Debatte um das BAMF geht es um mutmaßlich manipulierte Asylentscheidungen in Bremen. Der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka hatte deswegen Seehofer in einem Interview attackiert und ihm fehlenden Aufklärungswillen vorgeworfen.

Die Atmosphäre innerhalb der Großen Koalition könnte offenkundig besser sein. Ein Hinweis darauf ist auch die Forderung Merkels, dass nun alle zu den ANkER-Zentren stehen sollten. Mit diesen Zentren plant die Bundesregierung die Isolation von Geflüchteten. Dort soll in Schnellverfahren über Asylanträge entschieden werden. Nun zeichnen sich diverse Konflikte ab. Unter anderem die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnt davor, dass die Zentren nicht mit dem deutschen Recht vereinbar seien. SPD-Fraktionsvize Eva Högl hatte zudem kürzlich im Deutschlandfunk gesagt: »Nur, um die Zentren zu haben, um Menschen dort zu kasernieren, das wird die SPD sicher sehr kritisch begleiten beziehungsweise nicht mitmachen.« Allerdings sind die Sozialdemokraten gesprächsbereit.

Ebenfalls gestritten wird über die von der Union geforderte drastische Erhöhung des Militärhaushalts. »Es geht nicht um Aufrüstung, sondern um Ausrüstung«, sagt Merkel. Sie will auch weiterhin Bundeswehrsoldaten ins Ausland schicken und rechtfertigt Kriegseinsätze des deutschen Militärs. »Als Ultima Ratio müssen wir militärische Gewalt einsetzen«, verkündet die Kanzlerin. Sie will auch, dass künftig in Osteuropa schneller Truppen verschoben werden können. Merkel behauptet, dass es eine Bedrohung aus Russland gebe, das auf »hybride Kriegsführung« setze. Dazu zählten Cyberattacken, vor denen sich Deutschland schützen müsse.

Zwar will die SPD grundsätzlich die Militär- und Kriegspolitik der Union unterstützen, sie zweifelt aber, ob dafür weitere Milliardenbeträge verpulvert werden sollten. Finanzminister Olaf Scholz will, dass für die Jahre 2019 bis 2022 insgesamt 173 Milliarden Euro für das Militär ausgegeben werden. Mehr dürften es nicht werden, obwohl Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen von der CDU dies verlangt.

Während der Generaldebatte erhält Scholz Unterstützung von seiner Genossin Andrea Nahles. Die SPD-Fraktionschefin teilt einerseits die Auffassung der Union, dass es »Ausrüstungsschwächen bei der Bundeswehr« gebe. »Ich sehe aber keinen Anlass, die geringen zusätzlichen Spielräume auch noch in den Verteidigungshaushalt zu stecken«, erklärt Nahles. Sie könne zudem nicht erkennen, wo das Geld herkommen könne. Nahles stellt die rhetorische Frage, ob dafür in anderen Bereichen gespart, neue Schulden aufgenommen oder gar Vermögende stärker besteuert werden sollten.

Dann erinnert sie die Union an ihre eigenen Zusagen gegenüber der SPD. »Das Gesetz für ein Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit ist überfällig«, erklärt die Sozialdemokratin. Die SPD habe hier keinen Redebedarf mehr, »sondern nur noch einen Umsetzungsbedarf«. Nahles wollte ein entsprechendes Gesetz bereits in der vergangenen Legislatur vom Kabinett beschließen lassen. Die damalige Arbeitsministerin war aber am Widerstand der Union gescheitert.

Man gewinnt den Eindruck, als gönnten sich Konservative und Sozialdemokraten auch in dieser Wahlperiode gegenseitig keine Erfolge. Ursache hierfür dürfte die Sorge sein, noch mehr Wähler als bisher zu verlieren, wenn man dem Koalitionspartner zu weit entgegenkommt. Diese Mischung aus Nervosität und Profilierungsdruck angesichts schlechter Umfragewerte im Regierungslager spielt den Oppositionsparteien in die Hände. Diese haben allerdings sehr unterschiedliche Vorstellungen.

FDP-Chef Christian Lindner stellt die Große Koalition zu Beginn seiner Rede als zerstrittenen Haufen dar. Dann widmet er sich der Haushaltspolitik. Angesichts der hohen Steuereinnahmen wäre nicht nur ein ausgeglichener Haushalt, sondern es wären auch Überschüsse möglich, so Lindner. Diskussionen über Armut und soziale Spaltung lassen den neoliberalen Politiker kalt. Lindner äußert sein Missfallen über die Ausgaben im Bereich Arbeit und Soziales und wirft der Regierung vor, »mit Geld Zustimmung zu kaufen«.

Dagegen konzentriert sich Sahra Wagenknecht vor allem auf die Außenpolitik. »Wenn es Europa nicht gelingt, das Atomabkommen mit Iran zu retten, droht ein Flächenbrand«, warnt die Linksfraktionschefin. Sie fordert die Bundesregierung dazu auf, eine eigenständige europäische Außenpolitik voranzutreiben, die Rüstungsexporte in den Nahen Osten zu beenden und aus dem Wettrüsten auszusteigen. Auch die Russlandpolitik müsse sich ändern. Wagenknecht nennt den »Anschluss der Krim« zwar »völkerrechtswidrig«, mahnt aber, dass die Zusammenarbeit mit Moskau notwendig sei. »Beenden Sie die Eiszeit mit Russland und heben Sie die Sanktionen auf«, verlangt die LINKE-Politikerin.

Wagenknechts Amtskollegin von den Grünen, Katrin Göring-Eckardt, wirft der Koalition mangelnden Einsatz beim Kampf gegen den Klimawandel vor. Sie fordert den Ausstieg aus der Kohlekraft und mehr Einsatz gegen das Artensterben. Die Grünen stellen die kleinste Fraktion. Oppositionsführerin ist die rechte AfD, deren Fraktionschefin Alice Weidel zu Beginn der Debatte einen Eklat auslöst. »Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern«, tönt sie. Dafür handelt sich Weidel viele Buhrufe und eine Rüge von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) ein.

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