»Aber sie sind Menschen«

Der argentinische Fußballverband AFA weiß ganz genau, was russische Frauen wollen

  • Samuela Nickel
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wie kann ich bei einem russischen Mädchen eine Chance haben?« Eine wichtige Frage für die kommende Fußball-WM: Angeblich irrtümlicherweise sind Flirt-Tipps von Argentiniens Fußballverband AFA in einem Handbuch mit Verhaltensregeln für das WM-Gastgeberland Russland erschienen. BRAVO lässt grüßen. Der Verband hat sich bereits für die sexistischen Anweisungen entschuldigt. Die Aussagen spiegelten nicht die Ansichten der AFA wider, hieß es. Es lohnt sich aber, genauer auf diese Handlungsanweisungen zu schauen, weil sich dahinter viel mehr verbirgt als ein »harmloser Flirt«.

Mit den »Verhaltensregeln« für Russland sollten Journalisten, Funktionäre und Trainer auf die Weltmeisterschaft vom 14. Juni bis 15. Juli vorbereitet werden. Sie waren bei einem Kurs über russische Sprache und Kultur ausgegeben worden. Der AFA scheint vor allem auch davon auszugehen, dass, wer etwas mit Sport, gar mit Fußball, zu tun hat, zwangsläufig so richtig männlich sein muss. In dem Handbuch folgen dann Tipps, wie argentinische Männer — natürlich, wer sonst? – so richtig gut bei Russinnen landen können. Aufgepasst: Auch Fußballfans sind per se immer Männer, heterosexuelle Männer. Was mit den Frauen ist, die Fußball lieben, oder mit homosexuellen Fans, fragt man beim AFA lieber nicht nach.

In dem Textabschnitt des Handbuchs mit der Überschrift »Wie kann ich bei einem russischen Mädchen eine Chance haben?« heißt es dann weiter: »Russische Frauen mögen es nicht, wie ein Objekt behandelt zu werden. Weil russische Frauen schön sind, wollen viele Männer mit ihnen ins Bett. Vielleicht wollen sie das auch, aber sie sind Menschen und wollen das Gefühl haben, dass sie wichtig und einzigartig sind.«

Hier ist eine genauere Sprachanalyse angebracht: Mal davon abgesehen, dass es wahrscheinlichniemandem irgendwo gefällt, wie ein Objekt behandelt zu werden, und auch vom pauschalen Schönheitsbegriff, der hier verwendet wird, ist der wichtigste Satzabschnitt: »aber sie sind Menschen und wollen sich auch wichtig und einzigartig fühlen«. Fühlen! Ob sie es tatsächlich sind, ist natürlich egal; Hauptsache, man gibt Menschen das Gefühl, ihnen werde zugehört oder sie seien – tiefer Atemzug – menschlich!

Dass man betonen muss, dass Russinnen Menschen sind, zeigt die ganze Bredouille. Es scheint also doch noch nicht selbstverständlich zu sein, dass Frauen allgemein auch der selben Spezies angehören wie Menschen, äh Männer. Und die exotisierte Andere in Osteuropa schon gar nicht. Diese vielen, bestimmt auch ein wenig harmlos daherkommenden Flirt-Tipps bauen nämlich auf das weit verbreitete Abziehbild der prätentiösen, sexuell aber dennoch verfügbaren »Osteuropäerin« auf. Tauchen »Osteuropäerinnen« – ist doch klar, das sind einfach alle östlich der Grenze Deutschlands und Österreichs, sind ja alle gleich da – in Medienproduktion beispielsweise in Deutschland überhaupt auf, dann meist nur als die aus dem Katalog bestellte Ehefrau, die entweder gar nicht die Sprache spricht oder wenn, dann nur mit einem dicken Akzent, als billige Arbeitskraft oder als die zu errettende »Zwangsprostituierte«. Das mediale Stereotyp der »Osteuropäerin« ist das der sexuell freizügigen Frau, die käuflich ist.

Am Ende wird in dem Handbuch der AFA hinzugefügt, dass manche Frauen in Russland sich nur für reiche oder gut aussehende Männer interessierten. Zwischen den Zeilen steht der unausgesprochene Satz: Wedelt man nur mit den richtigen Geldscheinen, dann… Wie gefährlich und objektivierend es ist, die Sexualität der »russischen Frau«, jeglicher Menschen, auf Monetäres zu beziehen, wenn es sich nicht ausdrücklich um einen Sexarbeits-Kontext handelt, muss wohl nicht weiter ausgeführt werden.

Der ganz normale und auch sehr unterschiedliche Alltag von Frauen in Russland, Polen, Serbien, der Ukraine oder in Kroatien oder der von Frauen der osteuropäischen Diaspora überall auf der Welt bleibt ein blinder Fleck. Wenn nur solche Bilder von Frauen in der Öffentlichkeit konstruiert werden, kann es auch dazu kommen, dass ein Fußballverband auf so eine Idee wie Flirt-Tipps kommt.

Passagen aus dem Handbuch der AFA wurden später auch über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitet. Nicht nur in Argentinien stießen die Sätze auf harte Kritik. Argentiniens Institut gegen Diskriminierung und Rassismus (INADI) bezeichnete die Passagen als »diskriminierend und stigmatisierend«. Nach der scharfen Verurteilung der Textpassagen in sozialen Netzwerken sammelten die Verbandsmitarbeiter noch offenbar während der Schulung die Unterlagen ein und entfernten das Kapitel, wie ein teilnehmender Journalist auf Twitter berichtete. Es ist an der Zeit, dies auch in der Medienberichterstattung zu tun.

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