So kann man sich irren

Einer Anthologie mit Texten Geflüchteter gelingt es, aus Fällen wieder Menschen zu machen: »Hässlich willkommen«

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 4 Min.

Als er fünf Jahre als war, ist der heute erwachsene Mohsen Hassanis mit seiner Familie aus Afghanistan geflohen - zunächst nach Iran, wo der Junge als »Schlitzauge« und als »dreckig« beschimpft wurde, später nach Deutschland. Mohsen ist Angehöriger der Hazara, einer schiitischen Minderheit in Afghanistan. »Das reichte den Taliban schon aus, um in uns Feinde zu sehen, denen man am besten gleich den Kopf abschlagen sollte.« Sein sehnlichster Wunsch, endlich regelmäßig zur Schule gehen zu können, blieb Mohsen in Iran verwehrt. In Berlin konnte er ihn sich - nach zwei Absagen, die mit der fehlenden Bleibeperspektive begründet wurden - im dritten Anlauf endlich erfüllen. Der Bildungserfolg ließ nicht lange auf sich warten. Inzwischen ist sein Deutsch gut genug - »um meinen Ablehnungsbescheid selbst lesen zu können. Deutschland teilt mir darin mit, dass ich zurückgehen soll. Zurück in ein Land, an das ich mich kaum erinnere. Das erste von mittlerweile drei Ländern, das mich nicht haben wollte.«

Seine Geschichte erzählt Mohsen Hassanis in der Anthologie »Hässlich willkommen«, die dieser Tage im Satyr-Verlag erscheint. Die Herausgeber Petra und Karsten Lampe, beide erfahrene Slam-Poeten, haben darin rund 30 Texte von Geflüchteten versammelt, die in von ihnen geleiteten Schreibworkshops des Christlichen Vereins Junger Menschen entstanden sind. Von den beteiligten Autorinnen und Autoren, die ursprünglich aus Afghanistan stammen, heißt es im Buch einmal am Rande, sei bislang nur einem einzigen in Deutschland Asyl gewährt worden. Denn lange bevor die ehemalige Leiterin der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ins Visier von Politik und Medien geriet, weil für sie bei der Bewilligung von Asylanträgen »Menschen in Not zählten, nicht blanke Zahlen«, wie sie selbst sagt, ordnete das Auswärtige Amt bereits im Mai 2017 Afghanistan den sicheren Herkunftsländern zu. Seitdem darf abgeschoben werden.

Für die Ämter, an deren hölzernen Stempeln ihr Schicksal klebt, sind Flüchtlinge Fälle, die es abzuarbeiten gilt. Teile der eingesessenen Bevölkerung hingegen verbinden allein mit dem Wort ein nicht dingfest zu machendes Schreckgespenst, das »den Deutschen« die Frauen, die Arbeitsplätze und »die Werte« nehmen will. Vor diesem Hintergrund wirkt die Lektüre des Buches wie das Aufstemmen einer verriegelten Tür: Plötzlich sind da nicht länger nur Schemen zu erkennen, sondern lauter lebendige, liebenswerte Menschen mit jeweils eigenen Träumen und Traumata, Alltagssorgen und Zukunftsvisionen, mit großer Dankbarkeit gegenüber dem Land, in dem sie Aufnahme fanden, aber nicht minder großer Verwunderung über hiesige Bräuche und Bürokratie. Menschen, auch, mit Fragen wie dieser: »Warum könnt ihr Quietscheentchen aussprechen, aber meinen Namen nicht?«

Eindrucksvoll Samer Serawan, ein 39-jähriger Jurist, der in Damaskus ein Import/Export-Unternehmen leitete, und heute alternative Stadtführungen durch Berlin anbietet. Gelegentlich komme es vor, dass er es dabei auch mit AfD-Anhängern zu tun bekomme, und er möge das. Aber warum? Seine Antwort, gespeist aus Erfahrung, verblüfft: »Wenn solche Leute dabei sind, kann ich mit ihnen diskutieren. Du musst nur ehrlich zu ihnen sein. Die Leute wollen, dass du sie respektierst. Wenn du nur so eine abstrakte Vorstellung in deinem Kopf hast, ist der Umgang miteinander schwierig. Aber wenn ich dich respektiere, wenn ich deine Standards, deine Art zu denken anerkenne, wie sollst du da etwas gegen mich haben?«

Eines der wiederkehrenden Elemente in dem auffallend liebevoll gestalteten Buch, das neben autobiografisch erzählenden Texten, Gedichten und einer Theaterszene auch grafische Elemente, Fotos und einen Comic enthält, sind die kurzen, vom Witz des Missverständnisses geprägten »Diasporadialoge«. Da versucht Ali, Petra Arabisch beizubringen, und warnt sie vor der Doppeldeutigkeit eines Wortes. Das sei wie im Deutschen, wo »hässlich« ja auch etwas ganz anderes bedeute als in »hässlich Willkommen«. Auf Petras Einwand, dass Ali da wohl etwas falsch verstanden habe, antwortet der: »Ach so, und ich dachte immer, es heißt hässlich willkommen, weil alle willkommen sind, auch die Hässlichen.« So kann man sich irren.

Karsten und Petra Lampe (Hrsg.): Hässlich willkommen. Texte über Flucht und Heimat. Satyr-Verlag, 104 S., br., 12 €.

Buchpremiere am 1. Juni, 19 Uhr, im »Y not«, Karl-Heinrich-Ulrichs-Str. 10, Charlottenburg.

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