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Autofahrende Männer
Was in Clubs das stinkende Aftershave ist, ist auf der Straße die aufdringliche Karre, findet Paula Irmschler
Kürzlich habe ich etwas erlebt, was jede Frau kennen dürfte. Weil ja überraschenderweise bereits Sommer ist und in diesem Jahr deshalb alle noch ungebremster und effektiver durchdrehen als sonst, kann man das Balzverhalten von Heteros nun noch früher und noch ungefilteter erleben. Ungefickt, wie für Feministinnen normal, lief ich also frustriert und hysterisch eine Straße in Marburg entlang, auf der Suche nach einem potenziellen Täteropfer (m), das ich falsch beschuldigen könnte wegen irgendwas. Doch ich fand etwas Besseres, die Abkehr von meinem falschen Weg, von Unvernunft, Irrationalität und Männerhass. Denn dort, wenige Meter vor mir an der Ampel, erblickte ich SIE. Zwei junge, knackige Männer in Muskelshirts, im Cabrio, mit Ballermusik und diesen spacigen Sonnenbrillen. Sie warteten - fast - bis es grün ward, machten alsbald brumm brumm und fuhren so laut an wie ihre Penisse sicher lang sind. Sofort war ich mir sicher, dass die beiden die richtigen Kandidaten für Sex seien und so kam es dann auch.
Ist man erstmal dem Alter entwachsen, in dem man mit unangenehmen Menschen in Discotheken rumhängen muss, heißt das nicht, dass man auf die Zurschaustellung männlicher Aufmerksamkeitswünsche und Flirtstrategien verzichten muss. Was in Clubs das stinkende Aftershave ist, ist auf der Straße die aufdringliche Karre, das animalische Gegröle wird durch nervige Motorengeräusche ersetzt und körperliche Belästigung wird zur akustischen.
Das reicht den Jungens natürlich noch nicht. Man beherrscht etwas ja nicht nur, indem man laut mitteilt, dass man es beherrscht. Wichtig ist, es auch zu verteidigen und mögliche Streitigmacher in Angst und Schrecken zu versetzen, in diesem Fall alle, die ein Auto nicht für einen motorisierten Pimmel halten oder generell keinen haben: Fahrradfahrer, einfach nur Auto fahrende Fahrer und Frauen, egal was sie tun. Dementsprechend werden diese gern mal aus Karren angeschrien, angepfiffen, werden an Ampeln erschreckt und angehupt. Hätte ich einen Euro bekommen für jedes Mal, als ein Mann das Anfahren angetäuscht hat, während ich über die Straße ging, nur um mich zu erschrecken, ich würde hier schon gar nicht mehr schreiben, sondern Caipirinhas süppelnd auf meiner eigenen autofreien Insel sitzen.
Die Straße und ihre aktivsten Nutzer verhalten sich zueinander wie Gesellschaft und Patriarchat. Die Repräsentanten stressen sich gegenseitig, sie wollen die krassesten und stärksten sein, Abweichler werden verdrängt oder in Gefahr gebracht. Die Schuld am eigenen Scheitern, konkret an Unfällen, trägt man aber niemals selbst, obwohl man die größte Verursachergruppe stellt. Jeden zweiten Tag werde ich fast von einem überambitionierten Jungmann angefahren, aber wer kann kein Auto fahren? Natürlich die Frauen.
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