Bitte keine Heiligenlegende!

In Magdeburg gibt es eine Neuinszenierung der Rockoper »Jesus Christ Superstar« unter freiem Himmel

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Kulisse ist grandios. Vor dem im Abenddunkel versinkenden Magdeburger Dom staffelt sich eine graumarmorierte Landschaft aus Treppen, in der Mitte und zu beiden Seiten, sowie Podesten in verschiedener Höhe. Dies ist die düstere Ödnis, in der sich das Schicksal des Jesus von Nazareth vollendet. Kein Winkel als Versteck, vollständiges Ausgeliefertsein: Die Titelfigur ist ihrer Bestimmung, die Darsteller sind sich selbst und dem Publikum ausgeliefert, das von einer Tribüne mit über 20 Reihen das Geschehen verfolgt. Erdacht haben es der Texter Tim Rice und der damals, 1971, 23-jährige Komponist Andrew Lloyd Webber. Die Uraufführung von »Jesus Christ Superstar« in New York war ein sensationeller Erfolg, der Webbers Karriere begründete. Reiner Schöne, aus seiner DDR-Popularität in den Westen geflohen, sang 1972 den Titelpart in der deutschen Premiere. Webbers 70. Geburtstag ist der Anlass, um die Rockoper als »Domplatz-Open-Air« nun auch in die Elbestadt zu holen.

Den Absichten der beiden Autoren, keine Heiligenlegende zu bebildern, sondern die Menschen hinter dem christlichen Mythos und ihre Konflikte sichtbar zu machen, trägt Sebastian Ritschel mit seiner Regie Rechnung: Die Akteure gewandet er in dunkle Anzüge, überhöht Figuren bisweilen in Glitterglanz. Nach dem musikalischen Auftakt stürmen von allen Seiten, auch von vorn, Menschen die Szene. Hysterisch feiern sie Jesus, der, schmal und blond, sie zu besänftigen sucht. In großen Lettern prangt wie eine Krone das Wort »HERO« als Lämpchenaufsatz über der Bühne. Klar, dass niemand, auch nicht Jesus, dieser Verantwortung gewachsen ist. Ich bin der Weg und das Licht, singt er. Judas, aus der Mitte des Auditoriums sich nähernd, erinnert ihn: Du warst nur ein Mann, und die, die dir folgen, sind blind.

Damit ist die Konstellation der Rockoper umrissen: der überforderte und tatenarme Jesus versus seinen Freund und radikalen Mahner Judas. Vermitteln zwischen ihnen und trösten will Maria Magdalena, gefangen in ratloser Liebe zu Jesus.

Die Story um Anbetung, Selbstzweifel und Verrat, um die ihre Pfründe verteidigende jüdische Priesterschaft, den zwischen Pflicht und Zweifel zerrissenen römischen Statthalter Pontius Pilatus, einen lächerlichen Judenkönig Herodes und, letztlich, eine manipulierbare Menge, die erst in mitreißend balladeskem Chorus »Hosanna« singt und dann, bewaffnet mit Stöcken, »Kreuziget ihn!« schreit, läuft in fixer Dekoration ab. Lebendig und auf Fernsicht ist das inszeniert. Wenn nach den massigen Gruppenbildern Jesus allein in der Weite der steinbruchartigen Gliederung steht, macht das seine Verlorenheit und Verletzlichkeit umso deutlicher. Von hoch oben unterm Schriftzug richtet mit weißem Sakko Pilatus über den Aufrührer, ehe er ihn im zweiten Akt geradezu anfleht, sich zu verteidigen. Jesus aber hat da sein Los schon angenommen, so wie der Akt nach der Pause auch inszenatorisch insgesamt dichter und dramatischer wirkt.

Er beginnt mit dem Abendmahl, das hier ein Saufgelage ist, die Füße der Apostel, Männer wie Frauen, im Wasser eines Rinnsals. Einen ausgedienten King schilt Judas den Ex-Heilsbringer, den Angst vor dem Kommenden peinigt. Den Verrat hat der Fanatiker Judas längst vorbereitet, nach einem erregenden Song der Selbstanklage wird er sich richten. Stehend in seiner Karosse, fährt pompös Herodes vor: In rotem Glitzerdress, als sei Liberace auferstanden, mit Zylinder und Kavaliersstock wird er Teil einer Girlreihe - Jesus ist da bereits Popikone. An einem Hohl-Kreuz hängt er, bis ihm der Kopf auf die Brust sinkt. Webber findet hierfür eine berührende Streicherpassage, mit der das Stück endet und als Finale nachschiebt, worauf man wartet: »Jesus Christ Superstar« zum Mitklatschen.

Tobias Bieri ist ein bis in Falsetthöhen strahlender Jesus, Timothy Roller sein darstellerisch schwergewichtiger Widerpart Judas, Julia Gámez Martín eine Maria Magdalena mit enormer stimmlicher Ausdruckskraft. Kati Farkas bringt das große Ensemble aus Chor und Ballett des Theaters Magdeburg choreografisch musterhaft zusammen, Damian Omansen lässt die Magdeburgische Philharmonie hinter den Kulissen kraftvoll aufspielen. Auch der Dom spielt selbstvergessen mit.

Bis 8.7., www.theater-magdeburg.de

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