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Die Zukunft beginnt in Hohenmölsen

In den Kohleregionen wird allmählich der Strukturwandel vorbereitet - Bund und Länder sollen Geld beisteuern

Wenn vom Braunkohleausstieg die Rede ist, wird meist über zwei Regionen gesprochen: die Lausitz und den Niederrhein. Doch es gibt in Deutschland eine dritte betroffene Gegend, und zwar im Süden Sachsen-Anhalts. Am Montag fiel in Hohenmölsen der Startschuss für die Vorbereitung auf die Zeit nach dem Aus des Mitteldeutschen Braunkohlereviers: Das Magdeburger Wirtschaftsministerium überreichte einen Scheck von 7,2 Millionen Euro für eine Initiative der dortigen Landkreise und kreisfreien Städte, die den Strukturwandel einleiten wollen. Kaum mehr als ein erster Tropfen: Der Landrat des Burgenlandkreises, Götz Ulrich (CDU), beziffert die Kosten auf eine Milliarde Euro. Dabei hängen nur rund 8000 Jobs hier direkt und indirekt von der Kohle ab, wie es heißt. Und der Große Kahlschlag hatte unmittelbar nach der Wende stattgefunden: 1989 waren noch 60 000 Menschen in der Braunkohle beschäftigt.

Doch wie kann der Strukturwandel aussehen? Erst einmal wird die In-frastruktur aufgepeppt. So sollen 19,7 Millionen Euro aus einem Topf von Bund und Ländern für die bessere Anbindung an die Autobahn 38 verwendet werden. Auch die Großstadt Leipzig soll zeitlich näher heranrücken - durch eine bessere Bahnverbindung. Dies soll helfen, neue Industrie in die strukturschwache Region zu locken. Zudem setzt man auf mehr Tourismus, etwa durch ein durchgehendes Radwegenetz bis nach Sachsen und Thüringen. Mangels Hochschule setzt man auf ein Innovationslabor, um unternehmensnahe Forschung zu betreiben. Sehr konkret ist das jedoch nicht - wie auch so vieles in der Lausitz und im Rheinland.

Große Hoffnung setzt man vor Ort auf die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission »Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung«, die an diesem Dienstag ihre Arbeit aufnimmt. Acht Ministerien mischen hier mit, wobei das CDU-geführte Wirtschaftsministerium federführend ist, sowie insgesamt sechs Bundesländer. Nachdem es mit der Einsetzung lange dauerte, drückt man jetzt auf die Tube: Bis Ende Oktober soll das 28-köpfige Beratergremium seine »Empfehlungen für Maßnahmen zur sozialen und strukturpolitischen Entwicklung der Braunkohleregionen sowie zu ihrer finanziellen Absicherung« vorlegen, wie es im Einsetzungsbeschluss heißt.

Hierbei dürfte es vor allem um die Höhe der benötigten Gelder gehen. Die Regierung erwartet zudem Vorschläge zur effektiven Verwendung von Fördermitteln von Bund und EU sowie zur Schaffung eines Fonds für Strukturwandel, den insbesondere der Bund füllen soll. Ziel ist ein Aktionsprogramm, das auch Kommunen, wirtschaftliche Akteure vor Ort und Forschungseinrichtungen einbezieht. Es geht dabei um ein Update alter Stärken, wörtlich: »Perspektiven für zukunftsfähige Energieregionen im Rahmen der Energiewende«.

Darin, dass der Ausstieg sozial verträglich sein muss und es viel Geld für den Strukturwandel vor Ort braucht, sind sich die Kommissionsmitglieder einig. Sehr unterschiedliche Positionen gibt es aber in der Frage, wie rasch der Kohleausstieg vollzogen werden soll. Gerade die beiden Vertreter von Umweltorganisationen, Hubert Weiger (BUND) und Martin Kaiser (Greenpeace), sowie der prominente Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber drängen auf ein zügiges Aus. Der jüngste Klimaschutzbericht der Regierung, der einen große Lücke zu den Emissionsminderungszielen für 2020 feststellt, gibt ihnen dafür natürlich Munition. Das Bündnis Klima-Allianz will, dass schon in wenigen Jahren zumindest »die älteste und dreckigste Hälfte der Kohlekraftwerke« vom Netz geht sowie die Erweiterung von Tagebauen wie auch Planungen für neue Kraftwerke gestoppt werden.

Dagegen drängt die Kohlelobby darauf, den Termin möglichst weit hinauszuschieben. Der Lausitzer Braunkohleverstromer Leag wie auch die in Nordrhein-Westfalen heimische RWE sehen ansonsten die Versorgungssicherheit gefährdet. RWE-Chef Rolf Martin Schmitz nennt den immer wieder genannten Termin für einen Kohleausstieg bis 2030 »nicht zu schaffen« und droht schon mal mit Schadenersatzforderungen gegenüber dem Staat: »Wer zu früh aus der Kohle aussteigt, wird dafür teuer bezahlen müssen.« Industrieverbände möchten den Ausstieg ebenfalls auf die lange Bank schieben in der Hoffnung, die wegen der Überkapazitäten niedrigen Strompreise für Großabnehmer zu erhalten.

Im Kommissionsauftrag ist davon die Rede, dass ein Abschlussdatum samt den notwendigen Begleitmaßnahmen vorgeschlagen werden soll, was aber eher zweitrangig ist. Dafür werden schon die Vorsitzenden sorgen: vor allem die beiden Ex-Ministerpräsidenten der Kohleländer Brandenburg und Sachsen, Matthias Platzeck (SPD) und Stanislaw Tillich (CDU), sowie Bahn-Vorstand Roland Pofalla. Und auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) tritt auf die Bremse. Einen Ausstieg werde es »nicht vor dem Jahr 2030« geben, meint er. Vor solchen Zeitplänen müsse erst über die Arbeitsplätze in der Branche und den Strukturwandel gesprochen werden, um am Ende mehr und nicht weniger Arbeitsplätze in der Region zu haben. Um das zu unterstreichen, reiste er am Montagnachmittag nach Spremberg, um in der Lausitz an einer Veranstaltung mit den Regierungschefs von Brandenburg und Sachsen teilzunehmen.

Ganz ohne Kohle soll es übrigens auch dann nicht gehen, wenn die Verstromung des heimischen Rohstoffs zu Ende geht: Sachsen-Anhalt hofft auf die Ansiedlung des Projekts »Carbontrans« des Fraunhofer-Instituts für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen. Dabei wird erforscht, wie aus Müll und Braunkohle ein neuer Stoff als Erdölersatz für die Chemieindustrie gewonnen werden kann.

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