Kaum ein Flüchtling hat Chance auf Umsiedlung nach Europa

UNHCR-Vertreter Bartsch: Seehofers Masterplan steht für restriktive Handhabe und damit das Ende des Flüchtlingsschutzes

  • Mey Dudin
  • Lesedauer: 6 Min.

Berlin. In Europa wird derzeit viel darüber diskutiert, wer welche Flüchtlinge auf- beziehungsweise zurücknimmt. Über die Flüchtlingspolitik der Europäer und der Deutschen sprach der Evangelische Pressedienst (epd) mit dem Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) in Deutschland, Dominik Bartsch.

Herr Bartsch, in den vergangenen Wochen haben die europäischen Staaten Maßnahmen für eine Absicherung der EU-Außengrenzen beraten. Das UNHCR wirbt für die Möglichkeit, Flüchtlinge aus Afrika oder Asien über das sogenannte Resettlement-Verfahren - zu Deutsch: die dauerhafte Neuansiedlung - nach Europa kommen zu lassen. Wie viele bekommen denn tatsächlich diese Chance?

Zur Person
Dominik Bartsch ist Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) in Deutschland.

Wenn wir weltweit von derzeit 68 Millionen Vertriebenen reden, dann ist das höchstens ein Promille. Das ist natürlich viel zu wenig. Deutschland hat für dieses und nächstes Jahr zusammen die Aufnahme von 10.200 Flüchtlingen über diesen Weg zugesagt. Würde man hier noch zusätzlich die Neuansiedlung von Flüchtlingen mit Hilfe privater Sponsoren oder Hilfsorganisationen möglich machen, dann könnten wir die Zahlen steigern. Es ist unser dringender Appell an Länder wie Deutschland, dieses Programm weiter auszubauen.

Welche Menschen haben Sie bei diesem Verfahren besonders im Blick?

Es sind Flüchtlinge, die besonderen Schutz benötigen - auch in ihrem Erstaufnahmeland. Da wäre zum Beispiel die alleinerziehende Mutter, die sexuelle Gewalt in einem Lager erlebt hat und dort nicht mehr weiterleben kann. Ihr würden wir damit eine Möglichkeit geben, ihr Leben langfristig neu aufzubauen.

In der Diskussion über Flüchtlinge heißt es vielfach, man müsse die Fluchtursachen bekämpfen. Geschieht das denn?

Wir definieren die Fluchtursachenbekämpfung anders, als es in der deutschen Debatte der Fall ist. Uns geht es vor allem um die Ursprungsländer und dort den politischen Ansatz, den Konflikt zu beenden. Die hiesige Diskussion bezieht sich wiederum auf die Anrainerstaaten des Konfliktlandes, aus denen sich die Flüchtlinge wegen der ebenfalls sehr schwierigen Bedingungen auf den Weg weiter nach Europa machen. Aber auch die Unterstützung für diese Länder ist sehr wichtig. Im Fall von Syrien wären das zum Beispiel Jordanien und der Libanon, wo wir eine Finanzierungslücke von mehr als zwei Milliarden Dollar (rund 1,7 Milliarden Euro) haben. Aber da haben wir von den benötigten Finanzmitteln erst die Hälfte zugesagt bekommen. Noch dramatischer sieht es bei der Hilfe für Flüchtlinge aus dem Südsudan aus: Hier sind es weit unter 50 Prozent.

Wie muss die Hilfe vor Ort aussehen?

Es geht nicht nur um humanitäre Nothilfe, sondern darum, Menschen eine Perspektive zu bieten. Aus unserer Sicht ist Schulbildung ganz wichtig. Viele, die sich 2015 auf den Weg nach Europa gemacht haben, haben sich dazu entschlossen, weil das Geld ausging, um Grundschulen in den Lagern weiter zu betreiben. Als Kinder nicht mehr am Schulunterricht teilnehmen konnten, war auch die Perspektive weggebrochen. Das hat zu einer solchen Verzweiflung geführt, die die Menschen zu diesem Schritt bewegt hat.

Die EU streitet derweil über die künftige Asylpolitik. Sind die Dublin-Regeln, die besagen, welches Land für welchen Flüchtling zuständig ist, überhaupt noch zeitgemäß?

Wenn man die Wirkung der Dublin-Regeln ganz nüchtern analysiert, ist klar, dass da einige Länder sich benachteiligt fühlen. Aus der Perspektive von Ländern wie Italien oder Griechenland, die sehr viele Schutzsuchende aufgenommen haben, ist dieses System nicht unbedingt effektiv. Von daher ist es wichtig, ein gemeinsames europäisches Asylsystem aufzubauen. Das ist in der momentanen Gemengelage innerhalb Europas allerdings besonders schwierig.

In Deutschland hat Innenminister Horst Seehofer (CSU) seinen »Masterplan« für die künftige Asylpolitik vorgestellt. Es geht um sogenannte Transit- und Ankerzentren für schnellere Verfahren und Abschiebungen. Wie bewerten Sie diese Vorhaben?

Unsere Sorge ist, dass es um Abgrenzung geht, um restriktive Handhabe und damit das Konzept des Flüchtlingsschutzes verloren geht. Gleichzeitig sehen wir gerade die geplante Beschleunigung der Verfahren positiv. Es ist menschlich ganz schwierig, wenn jemand, dessen Verfahren sich über Monate oder Jahre hingezogen hat, am Ende keinen Schutzstatus bekommt und das Land wieder verlassen muss.

Sie haben Zugang zu dem großen Flüchtlingslager im bayerischen Manching, das als Vorbild für die künftig geplanten Ankerzentren dient. Was ist Ihr Eindruck?

Die Unterbringung in der ehemaligen Kaserne ist sehr einfach. Für einen Kurzzeitaufenthalt ist das machbar. Aber wenn Menschen über Monate oder Jahre so hausen müssen, ist das sicher nicht im Sinn der menschlichen Unterbringung. Kinder haben in solchen Zentren bislang keine Möglichkeit, die Schule regulär zu besuchen. Bedenken haben wir außerdem, was mögliche Gewalt angeht, wenn Menschen mit ganz unterschiedlichen Bleibeperspektiven unter einem Dach leben. Sehr wichtig wäre noch der Zugang zu einer unabhängigen Rechtsberatung. Nach unserem Verständnis sollten die Schutzsuchenden auch künftig dort nicht interniert werden, sie sollten tagsüber das Gelände verlassen können, damit Integration zumindest im Ansatz gelingen kann.

In der Integrationspolitik wurde immer von Fördern und Fordern gesprochen. Die aktuelle Debatte über Asylpolitik vermittelt aber den Eindruck, dass nur noch gefordert wird. Wie hilfreich ist eine solche Diskussion für Integration?

In unserer Erfahrung ist es immer der Austausch zwischen Einzelnen, zwischen deutschen Bürgern und Flüchtlingen, der zu einem Umdenken führt. Wir hoffen, dass durch das tägliche Zusammenleben, wenn aus dem Flüchtling der Kollege oder der Nachbar wird, einige der Spannungen, die sich aufgebaut haben, sich wieder abbauen lassen.

Asyl-Tourismus, Anti-Abschiebungsindustrie sind Worte, die derzeit fallen. Wie schätzen Sie die Wirkung solcher Begriffe ein?

Die Sprache verroht ganz sicher. Sie zeigt auf, dass die einzelnen Menschen oftmals quasi als Objekte gesehen werden. Von daher macht uns der Sprachgebrauch große Sorgen, weil er das Menschliche, den menschlichen Zugang verbaut.

Sie haben schon in vielen Ländern gearbeitet, in Indien, Afghanistan, Irak zum Beispiel. Kommen solche Wortschöpfungen dort auch vor?

Die Art, wie solche Begriffe entstehen und benutzt werden, hat schon eine bestimmte deutsche Spezifität. Ich habe in anderen Ländern erlebt, dass beleidigende Spitznamen erfunden wurden, aber eine Wortschöpfung wie Asyl-Tourismus ist schon etwas Besonderes: Sie impliziert, dass der Einzelne sich aussucht, wo er denn jetzt mal hingeht. Es wird völlig ausgeblendet, dass es sich in vielen Fällen um Menschen handelt, die vor Verfolgungen fliehen und um ihr Leben rennen. epd/nd

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