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  • Volksbegehren »Berlin werbefrei«

Über 42.000 unterzeichnen gegen Straßenreklame

Initiative »Berlin werbefrei« übergibt Unterschriften für ein Volksbegehren an die Innenverwaltung

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

»Die Werbung nimmt uns den Blick auf die Stadt, den Blick auf den Himmel über Berlin«, sagt Fadi El-Ghazi vom Volksbegehren »Berlin werbefrei« am Freitagvormittag. Mit dieser Meinung steht er offensichtlich nicht allein. 42.810 Unterschriften übergeben die Aktivisten an die Innenverwaltung. Damit wird das formale Verfahren für ein Volksbegehren eingeleitet, für das 20.000 gültige Unterschriften notwendig sind. Angesichts der Zahlen ist mit großer Sicherheit davon auszugehen, dass diese Hürde genommen ist.

Ziel des Gesetzesvorhabens ist eine deutliche Reduzierung der Außenwerbung und ein Verbot digitaler Werbeanlagen im öffentlichen Raum. Plakate für Veranstaltungen und Gemeinnütziges soll es weiterhin an Litfaßsäulen, Kulturflächen und Haltestellen geben. Produktwerbung wäre nur noch am Ort der Leistung zulässig, also an Läden, Werkstätten, Gastronomiebetrieben, Büros oder Fabriken. Dann allerdings nur bis maximal zehn Meter Höhe. Damit würde beispielsweise auch der Mercedes-Stern auf dem Bürohaus des Autoherstellers in Friedrichshain verschwinden müssen.

Los ging es mit der Unterschriftensammlung im Januar, nachdem die amtliche Kostenschätzung vorlag. 31 Millionen Euro jährliche Mindereinnahmen errechnete die Stadtentwicklungsverwaltung für den Landeshaushalt. »Das sind nur 0,1 Prozent aller Einnahmen«, rechnet El-Ghazi vor. Tatsächlich geht er davon aus, dass die möglichen Verluste geringer ausfielen, da die durch Ausnahmeregelungen verbleibenden Werbeflächen deutlich wertvoller würden.

In der ersten amtlichen Kostenschätzung errechnete die Verwaltung Einnahmeverluste von 81 Millionen Euro. Nach einem Widerspruch der Aktivisten waren es auf einmal 50 Millionen Euro weniger. Insgesamt ein halbes Jahr nahm dieser Verfahrensschritt in Anspruch - das Dreifache der üblichen Zeit. »Erst nachdem der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) ein Machtwort gesprochen hatte, war klar, welche Senatsverwaltung überhaupt dafür zuständig ist«, so El-Ghazi. Damit ist nach seinen Worten auch der ursprüngliche Plan Makulatur, einen möglichen Volksentscheid gemeinsam mit der Europawahl im Mai 2019 durchzuführen.

»Wir kennen das auch vom Fahrrad-Volksbegehren, dass Prüfung und Kostenschätzung weiterhin Hebel sind, die nicht forciert umgangen werden«, deutet Denis Petri vom aus dem Begehren hervorgegangenen Verein »Changing Cities« etwas verklausuliert eine Verzögerungstaktik des Senats an. »Ich bin der Auffassung, dass Volksbegehren auch außerhalb von Wahlen geführt und gewonnen werden können«, sagt er. »Beim Radentscheid ging es um die Wiedergewinnung Berlins in der Horizontalen, bei ›Berlin werbefrei‹ geht es um die Vertikale«, begründet er die Unterstützung dieses Begehrens durch »Changing Cities«.

»Derzeit ist Werbung prinzipiell zulässig. Wir drehen das mit unserem Gesetzentwurf um«, erklärt El-Ghazi das grundsätzliche Vorgehen. So sei es zwar Rechtsprechung, dass mehr als drei Großwerbetafeln an einer Stelle als »störend und verunstaltend« gelten. Diese müsse jedoch vor Gericht durchgesetzt werden, wovor Verwaltungen zurückschreckten, weil Rechtsstreitigkeiten viele Ressourcen binden. »Juristisch ist es viel einfacher, ein generelles Verbot mit Ausnahmen durchzusetzen«, so der Anwalt. Man sei gar nicht generell gegen Werbung, eigentlich müsste das Volksbegehren »Berlin werbereduziert« heißen, das klinge aber zu sehr nach Junger Union.

Als einzige Partei hat die LINKE auf ihrem Parteitag im April die Unterstützung des Volksbegehrens beschlossen. »Wir finden es gut, dass es eine Initiative aus der Stadtgesellschaft gibt, die sich mit der zunehmenden Kommerzialisierung des öffentlichen Raums beschäftigt«, sagt der Grünen-Landesvorsitzende Werner Graf. Die SPD ist unentschlossen, die Opposition gegen das Anliegen. Auch im touristischen Bereich engagierte Kulturschaffende unter anderem vom Friedrichstadtpalast wandten sich in einem Offenen Brief an den Senat gegen die Initiative.

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