Das Los für ewige Ruhe: Gräber-»Lotterie« im Kongresscenter

Bayern: Lange Jahre war Berchtesgadens Alter Friedhof gesperrt - nun übersteigt die Nachfrage nach Grabstellen dort die Möglichkeiten

  • Sabine Dobel, Berchtesgaden
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Grab aus der Lostrommel: Der oberbayerische Ort Berchtesgaden wählt diese Methode, um begehrte Gräber auf einem jahrhundertealten Friedhof zu vergeben. Am Mittwoch werden rund 280 Bewerber im Kongresszentrum erwartet, 200 von ihnen werden zum Zuge kommen. Mit der Verlosung, so sagt der Geschäftsleiter des Marktes Berchtesgaden, Anton Kurz, sollen gleiche Chancen für alle geschaffen werden. »Man wollte ein möglichst gerechtes Verfahren.« Denn jahrzehntelang waren auf dem 1685 eröffneten Friedhof keine Gräber mehr vergeben worden.

Die Gräber-»Lotterie« sorgt über Bayerns Grenzen hinaus für Aufmerksamkeit. »Das ist ungewöhnlich, aber eigentlich eine schöne Geschichte, die zeigt, dass der Friedhof ein Ort ist, der auch in Zukunft Bedeutung hat«, sagt Oliver Wirthmann, Geschäftsführer des Kuratoriums Deutsche Bestattungskultur und Sprecher des Bundesverbandes Deutscher Bestatter. Er habe noch von keinem vergleichbaren Fall gehört. »Grundsätzlich ist das ein sehr positives Zeichen, dass alte Friedhöfe reaktiviert werden - und dass man die kulturelle Gewachsenheit von Friedhofsanlagen erkennt.« Friedhöfe in Städten und Gemeinden seien wichtig. »Es ist nicht gut, wenn Friedhöfe an den Rand gedrängt werden, nach dem Motto: Das wollen wir nicht sehen.«

Auch sehr praktische Gründe sprechen aus Sicht manches Berchtesgadeners für den Friedhof im Ort. Gerade für ältere Menschen ist er leichter zu erreichen als der nach dem Krieg eröffnete in Schönau am Königssee. Zu vergeben sind 140 Erdbestattungs- und 60 Urnengräber. Interessenten konnten sich auf einem Plan im Internet oder direkt auf dem Friedhof mit insgesamt 1500 Gräbern aussuchen, wo sie selbst oder ihre Angehörigen dereinst ruhen sollen. An den freien Plätzen waren Schilder angebracht.

Vergeben werden die Plätze nun in der Reihenfolge der Losziehung: Wessen Los zuerst gezogen wird, hat ersten Zugriff auf besonders begehrte Plätze.

Schon einmal hatte ein ungewöhnliche Grabvergabe für Schlagzeilen gesorgt. In den USA kam vor Jahren die Gruft über dem Grab des Filmidols Marilyn Monroe unter den Hammer, Millionenbeträge wurden geboten. »Auf ewig bei Marilyn Monroe« hatte die Frau des über Monroe beigesetzten US-Unternehmers Richard Poncher geworben - sie wollte das auf einem Prominenten-Friedhof in Los Angeles gelegene Grab verkaufen, um eine Hypothekenschuld zu begleichen.

In Berchtesgaden hingegen entscheidet nicht Geld, sondern das Los. Die anfallenden Kosten liegen zwischen 550 und 760 Euro für eine zehnjährige Liegezeit.

Üblicherweise werden Gräber einzeln vergeben, zu Engpässen kommt es in der Regel nicht. Vielerorts und vor allem im Norden Deutschlands bleiben sogar immer öfter Grabstellen leer. Denn die Bestattungskultur ist im Wandel, ein Trend geht zur Urne, große Familiengräber werden nicht mehr so oft gebraucht. Auch die Bestattung in festgelegten Waldarealen mit teils anonymen Gräbern wird verstärkt gewählt.

Immer wieder werden Friedhöfe für eine bestimmte Zeit oder dauerhaft für Bestattungen geschlossen. Unter anderem kann der Zersetzungsprozess je nach Bodenbeschaffenheit lange dauern, wie Wirthmann erläutert.

Der Friedhof in Berchtesgaden war von 1972 bis 1986 für Beisetzungen ganz gesperrt. Danach durften dort nur Familien bestatten, die schon ein Grabrecht hatten. Weil aber zuletzt immer wieder Plätze frei wurden, sei beschlossen worden, diese neu zu vergeben, sagt Anton Kurz vom Markt Berchtesgaden.

»Dass so ein großes Interesse besteht, zeigt auch, dass Trauer einen Ort braucht«, sagt Oliver Wirthmann vom Kuratoriums Deutsche Bestattungskultur. Oft gelte es als modern zu sagen: »Ich brauche keinen Friedhof, ich kann im Herzen trauern.«

Vor allem lokale Persönlichkeiten liegen auf dem Alten Friedhof, etwa Anton Adner, der bis ins hohe Alter zu Fuß unterwegs war, um seine Holzwaren zu verkaufen. Er starb am 17. März 1822, der Überlieferung zufolge wurde er 117 Jahre alt. Er gilt als ältester bekannter Bayer, König Maximilian I. soll zuletzt persönlich für ihn gesorgt haben.

Kopfzerbrechen bereitet den Verantwortlichen derzeit das Grab des Publizisten Dietrich Eckart. Er gilt als früher Anhänger des Nationalsozialismus und Ideengeber Adolf Hitlers. Angehörige hatten die Grabstätte gekündigt, nun soll entschieden werden, ob der Grabstein stehenbleibt oder entfernt wird. Eckart starb zwar bereits im Jahr 1923, als Hitler gerade begann, am Obersalzberg in Berchtesgaden sein Feriendomizil zu installieren - und lange bevor Hitler dort einen zweiten Regierungssitz neben Berlin aufbaute. Dennoch befürchten manche im Ort, das Grab könne zur Pilgerstätte für Rechtsradikale werden. dpa/nd

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