Thüringen schert bei Polizeigesetzen aus

Die rot-rot-grüne Landesregierung plant im Unterschied zu anderen Bundesländern keine Verschärfungen

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die rot-rot-grüne Regierungskoalition in Thüringen hat sich von ihren Plänen verabschiedet, das sogenannten Polizeiaufgabengesetz des Landes zu überarbeiten. Zwar hatten sich Linkspartei, SPD und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag noch vorgenommen, eine solche Novelle in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Der entsprechende Passus im Koalitionsvertrag ist sogar verhältnismäßig umfangreich - weil alle drei Koalitionspartner sich damals einig waren, dass die Grundrechte der Thüringer wieder effektiver vor staatlichen Eingriffen geschützt werden müssen. Diese Kernidee hat auch heute innerhalb der Parteien noch großen Rückhalt; auch wenn vor allem innerhalb der SPD seit einigen Monaten auch wieder deutlich sicherheitszentrierte Haltungen vertreten werden. Inzwischen aber heißt es von wichtigen Innenpolitikern der Koalition, für eine Novelle des Polizeiaufgabengesetzes sei gerade nicht die richtige Zeit.

Vereinfacht ausgedrückt: In einem Polizeiaufgabengesetz ist im Wesentlichen festgeschrieben, was die Polizei darf und was nicht. Das Gesetz ist damit eine der wichtigsten Rechtsgrundlagen für die Beamten überhaupt. Weil die Polizei in Deutschland nach den Erfahrungen der Nazizeit Ländersache ist, hat jedes Bundesland sein eigenes Polizeiaufgabengesetz. Das führt letztlich dazu, dass sich die Befugnisse der Länderpolizeien von Bundesland zu Bundesland oft zumindest leicht unterscheiden.

Das Besondere an den Polizeiaufgabengesetzen, die im Fachjargon mit PAG abgekürzt werden: Sie definieren vor allem, was die Polizeien zur sogenannten Gefahrenabwehr tun dürfen. Sie schreibt nicht fest, welche Befugnisse die Beamten haben, um schon begangenen Straftaten zu verfolgen; diese Befugnisse haben sie ohnehin eigentlich nur dann, wenn sie auf Anweisung von Staatsanwaltschaften und Gerichten tätig werden. Was in einem PAG steht, dürfen Polizisten dagegen in der Regel tun, ohne sich dafür eine Genehmigung von der Justiz holen zu müssen, weil es ja gerade darum geht zu verhindern, dass sich aus einer Gefahr überhaupt erst eine Straftat entwickelt. Damit betreffen die PAGs der Länder also jeden Menschen, der sich in dem Bundesland aufhält, in dem das entsprechende PAG gilt. Konkret definieren die Gesetz zum Beispiel, unter welchen Bedingungen die Polizei Personen anhalten und befragen, ihre Personalien feststellen oder sie in Gewahrsam nehmen darf.

Im Koalitionsvertrag von Rot-Rot-Grün heißt es, das Thüringer PAG solle verändert werden, unter anderem um genauer zu definieren, was eigentlich mit »Gefahr« gemeint ist - immerhin ist eine »Gefahr« die Basis des Handelns der Polizei nach dem PAG. Das sollte Versuchen von Polizisten vorbeugen, jedes Ereignis als »Gefahr« interpretieren und dann auf Grundlage des PAG gegen wen auch immer einzuschreiten. Dass die derzeitige Gefahrendefinition aus Sicht von Rot-Rot-Grün jedenfalls damals zu weitreichend war, lässt sich unschwer aus dem Koalitionsvertrag herauslesen. Dort steht immerhin, man wolle die Novelle »um die Eingriffsbefugnisse auf das im Gefahrenabwehrrecht Notwendige und Anwendbare und damit verfassungsrechtlich unbedenkliche Maß zu reduzieren«.

Außerdem sollte laut Koalitionsvertrag per Gesetzesänderung das sogenannte racial profiling verboten werden; also die Praxis, das Polizisten Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder anderer äußerer Merkmale kontrollieren - wobei Polizisten öffentlich immer wieder bestreiten, dass sie eine solche Praxis überhaupt anwenden. Auch hatte Rot-Rot-Grün sich vorgenommen Berufsgeheimnisträger wie Anwälte, Ärzte oder Geistliche besser vor Maßnahmen der Polizei zu schützen.

Der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Steffen Dittes, sagt nun allerdings, es bestehe Einigkeit innerhalb der Fraktionen von LINKE, SPD und Grünen, dass die Koalition auf die damals vereinbarte Novelle des Thüringer PAG verzichten werde. Beim Abschluss des Koalitionsvertrages sei nicht abzusehen gewesen, dass sich die Situation bei den Polizeiaufgabengesetzes bundesweit so schnell ändern werde, wie das nun geschehen sei. Immerhin gebe es derzeit Bestrebungen in Deutschland ein Muster-PAG einzuführen. Zudem werde in Bayern gerade überprüft, ob die dort vor Kurzem verabschiedete Änderung des PAG verfassungskonform ist. Diese Entscheidung solle man auch in Thüringen abwarten, sagt Dittes.

Die jüngste Novelle des bayerische PAG ist heftig umstritten - vor allem, weil die Polizei dort nun nicht mehr nur aufgrund einer »konkreten Gefahr« tätig werden darf, sondern schon bei einer »drohenden Gefahr« - was die Schwelle für Eingriffe der Polizei in die Grundrechte von Menschen, die in Bayern leben oder sich dort aufhalten, deutlich absenkt.

Die SPD-Innenpolitikerin Dorothea Marx bestätigt die Angaben von Dittes. Zudem hat sie noch ein anderes Argument gegen eine Änderung des Thüringer PAG bis zum Ende der Legislaturperiode: Rot-Rot-Grün wolle die Polizei »in der aktuellen sicherheitspolitischen Situation« nicht durch tiefgreifende Strukturreformen belasten, die dann ein neues Thüringer PAG nötig gemacht hätten, sagt sie - und verweist damit eben auf ein anderes Vorhaben, das das Dreierbündnis auch nicht mehr abschließen wird, obwohl das geplant war und daran sogar schon gearbeitet wurde: eine Neuordnung der Polizeibehörden im Freistaat, die für mehr Effizienz bei der Landespolizei hätte sorgen sollen.

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