Feuertod in der Rüstungsfabrik

Sachsen: Die Stadt Plauen gedenkt der 301 Opfer des großen Werkbrandes von 1918

  • Katrin Mädler, Chemnitz
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist ein heißer Sommertag, ein Freitag, ein paar Minuten nach 16 Uhr. Plötzlich erschüttert eine Explosion den Westen der vogtländischen Stadt Plauen. Flammen und Rauch steigen aus der Kartuschierfabrik auf, in der fast 500 Menschen Sprengstoff zu Munition verarbeiten. Was an diesem 19. Juli 1918 in Plauen geschieht und 301 Todesopfer fordert, gehört zu den schwersten Fabrikunglücken in Sachsen und zu den schwersten Brandunglücken im Deutschen Reich während des Ersten Weltkrieges, sagt der Plauener Historiker Gerd Naumann, Mitarbeiter im Vogtlandmuseum.

Er ist auf Spurensuche gegangen, hat Archive besucht und Statistiken eingesehen - und erklärt: Wegen der Hitze an diesem Tag entzündete sich das Schießpulver wohl selbst, dann verbreitete sich das Feuer rasend schnell.

Das besonders Tragische an dem Unglück in der Plauener Fabrik, die zur Firma AEG gehörte und vor dem Krieg noch Lampen produziert hatte, ist die hohe Anzahl junger Frauen, die umkamen: Unter den Toten waren 296 Arbeiterinnen, das Durchschnittsalter lag bei 23 Jahren. An die Opfer will Plauen mit einer Kranzniederlegung zum 100. Jahrestag erinnern - auf dem Hauptfriedhof, wo die meisten Toten in einem Massengrab beerdigt wurden.

Außerdem geplant sind Vorträge von Historiker Naumann sowie von Nachfahren der Toten und Schülern der Stadt. Bereits 1918 gab Plauen den Opferfamilien das Versprechen, sich um das Massengrab zu kümmern und mit einem Ehrenmal die Erinnerung an die Mädchen aufrecht zu erhalten, berichtet Naumann. Das Denkmal wurde in den vergangenen Monaten für 27 000 Euro saniert, unterstützt durch private Spenden.

Baubürgermeister Levente Sárközy (parteilos) lobt das Engagement der Plauener für das Ehrenmal. Zugleich mahnt er: »Die Frauen stellten im Akkord Munition her. Sie lieferten den Nachschub für die Männer an der Front zum Töten. Durch die Brandkatastrophe wurde innerhalb von wenigen Minuten eine Vielzahl von jungem Leben ausgelöscht. Ich wünsche mir eine Welt, in der Frauen keine Rüstung mehr produzieren und sie die Männer davon überzeugen, dieses ebenfalls zu lassen.«

Bis heute halten sich in der Stadt Gerüchte, dass es sich bei dem Unglück um Sabotage gehandelt habe, erklärt Historiker Manuel Fleischer, ebenfalls Mitarbeiter im Vogtlandmuseum. »Hinweise darauf geben die Akten nicht. Das Unglück ist in der Erinnerung vieler Plauener noch tief verwurzelt, nicht wenige Familien verloren alle ihre Kinder an den Krieg, die Söhne fielen an der Front, die Mädchen starben in der Rüstungsfabrik.«

Augenzeugen des Unglücks berichteten von schreienden Frauen, die sich in den unteren Etagen gegen die vergitterten Fenster drängten. Türen ließen sich nicht mehr öffnen, weil die Arbeiterinnen panisch dagegen drückten. Fleischer: »Die Sicherheitsvorkehrungen versagten völlig.« Die Leichtsinnigkeit, mit der die Fabrikarbeit organisiert wurde, habe ihn fassungslos gemacht, so der Historiker.

Die Produktion in der Fabrik in Plauen war einige Wochen vor dem Brand hochgefahren worden. Der damalige Standort bot sich an, die Arbeitslosigkeit in der Stadt war hoch. Außerdem stieg der Bedarf an der Front. Mehr Arbeitskräfte, mehr Sprengstoff, alles auf engstem Raum - das sieht auch Historiker Naumann als Ursache für die Katastrophe. Die Frauen stellten schließlich nicht mehr nur leichte, sondern auch schwere Kartuschen her. Dabei steppten sie Schießpulver in kleine Säckchen ein, die dann in Wurfgeschossen zum Einsatz kamen.

Der Geschäftsführer der AEG Berlin, Fabrikabteilung Plauen, sei nach dem verheerenden Brand von Schuld freigesprochen worden, berichtet Naumann. In seinem offiziellen Lebenslauf findet sich kein Hinweis auf das Plauener Unglück, auch im AEG-Archiv nicht. »Er hat in der Firma weitergearbeitet und Karriere gemacht«, sagt der Historiker. dpa/nd

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