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- Verfassungsschutzbericht 2017
Blind für Ursachen
Uwe Kalbe über den Verfassungsschutzbericht 2017
Der Verfassungsschutzbericht soll ein realistisches Abbild der Gewaltpotenziale in der Gesellschaft liefern. Doch dieser Bericht ist wie alle politisch konnotierten Gesellschaftsanalysen zugleich Dokument der Geisteshaltung seiner politischen Urheber. Das relativiert zumindest die Bestimmtheit, mit der politische Schlüsse aus dem Bericht gezogen werden. Und es erklärt die unterschiedliche Distanz, die Bundesinnenminister wie Verfassungsschutzpräsident unverändert gegenüber den verschiedenen Polen der Gesellschaft wahren. So froh man sein kann, wenn geplante Terroranschläge rechtzeitig erkannt und verhindert werden, ist es doch ein Armutszeugnis, wenn sich Verfassungsschutz wie Bundesinnenminister gegenüber den Ursachen hilflos geben. Oder es ist politische Absicht, und das machte es nicht besser.
Das politische Frühwarnsystem, als das Seehofer den Verfassungsschutz lobt, versagt kläglich, wenn der jährliche Bericht keinen Erkenntnisgewinn über Ursachen für Radikalisierung wenigstens nach sich zieht. Präsident Maaßens beiläufige Bemerkung, die politische Aufarbeitung habe gezeigt, dass V-Leute im Umfeld des NSU nicht eingesetzt gewesen seien, zeigt das Ausmaß der Unbelehrbarkeit, die aus der Selbstgewissheit der Macht nebst einem autoritären Staatsverständnis resultiert. Hier schlummert schon der Kern für neue Polarisierung, Ursache auch für Radikalisierung.
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