Eritreas Öffnung lässt bei den Medien noch auf sich warten
Das ostafrikanische Land gehört zu den Ländern mit der massivsten Zensur weltweit
Der Journalist reagiert nicht mehr auf Anrufe. Dabei wollte er gern von seinen Erfahrungen in Eritrea berichten, strikte Anonymität zugesichert. Obwohl der Eritreer längst in einem anderen afrikanischen Land lebt, hat er doch Angst und schweigt. Er fürchtet wohl, dass ihm der eritreische Geheimdienst auch dann auf die Schliche kommt, wenn sein Name und sein Wohnort nicht genannt werden.
Die Organisation »Reporter ohne Grenzen« hält seine Angst nicht für übertrieben: Dutzende eritreische Journalisten sind ins Ausland geflohen, wo die eritreischen Behörden sie oft weiter drangsalieren. In Uganda, Äthiopien oder Kenia fühlen sie sich beobachtet und verfolgt. Mitarbeiter der eritreischen Botschaften sind offensichtlich für den Geheimdienst tätig, tauchen bei Treffen kritischer Exil-Eritreer auf, machen sich Notizen und stören durch Fragen. Berichte über den »langen Arm« des eritreischen Regimes gibt es auch aus europäischen Ländern.
Manche in Eritrea gebliebene Familie eines geflohenen Journalisten erzählt, dass Regierungsbeamte anriefen und über den Exilanten berichteten. Die Botschaft ist eindeutig: »Wir wissen jederzeit, was ihr macht, und wir wissen, wo eure Familien wohnen.« Exil-Eritreer erleben auch, dass ihre Angehörigen zu Hause stellvertretend verhaftet werden.
Eritrea ist eines der Länder mit der massivsten Zensur weltweit. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von »Reporter ohne Grenzen« belegt Eritrea 2018 weiter den vorletzten Platz von 180 Ländern, gefolgt nur von Nordkorea. Soweit bekannt, sind derzeit zwölf eritreische Journalisten und vier Medienassistenten in Haft, oft seit Jahren und ohne Kontakt zu Anwälten oder Angehörigen. Die Haftbedingungen sind extrem hart und lebensbedrohlich. Es wird gefoltert. Mehrere Journalisten sind in der Haft umgekommen.
Seit 2001 gibt es keine freie Presse mehr in Eritrea. Der einzige Fernsehsender ist das staatliche Eri-TV. Kein anderes afrikanisches Land ist so weit gegangen, die privaten Medien ganz zu verbieten. Auch sonst ist der Zugang zu Informationen stark beschränkt: Nur ein Prozent der Eritreer hat Zugang zum Internet, nur sechs Prozent haben ein Mobiltelefon, wie »Reporter ohne Grenzen« betont.
Unmittelbar nach dem Verbot der privaten Medien wurde der 1964 geborene schwedisch-eritreische Schriftsteller, Dramatiker und Journalist Dawit Isaak inhaftiert. Der ehemalige Miteigentümer der Wochenzeitung »Setit« musste Berichten zufolge Jahre in Einzelhaft verbringen und wurde gefesselt. Es ist unklar, ob er überhaupt noch lebt. Auch der Dramatiker und Fotograf Seyoum Tsehaye wurde 2001 inhaftiert. Für seine Freilassung kämpft seine in Schweden geborene Nichte, die Jurastudentin Vanessa Berhe.
Seit 2010 sind zudem keine ausländischen Korrespondenten mehr in Eritrea dauerhaft akkreditiert. Da die Regierung unter Präsident Isayas Afewerki auch kaum kürzere Recherchen zuließ, war Eritrea eine Zeit lang praktisch abgeschottet. Seit 2013 - dem Jahr, in dem sich die Unabhängigkeit von Äthiopien zum 20. Mal jährte - durften wieder ein paar Reporter einreisen.
Einem BBC-Fernsehteam gelang es 2015 trotz strenger Überwachung, Schiffscontainer im Hafen zu filmen. Die Container werden oft als Gefängniszellen benutzt, was bei Temperaturen bis zu 40 Grad Celsius am Roten Meer die Hölle ist. In dem BBC-Film sagt der Aufpasser vor laufender Kamera in der Landessprache Tigrinya zu einer Dolmetscherin: »Wir haben ihnen vorher gesagt, dass sie hier nicht drehen sollen. Weil wir nicht wollen, dass sie zu viele Fragen stellen.«
Eritrea gilt als eine der härtesten Diktaturen auf dem afrikanischen Kontinent. Laut den Vereinten Nationen fliehen jeden Monat bis zu 5000 Menschen. Fast jeder vierte der rund fünf Millionen Einwohner soll das Land schon verlassen haben. Ein Fluchtgrund ist der Militärdienst für Männer und Frauen. Er dauert auf dem Papier nur 18 Monate, ist aber faktisch unbegrenzt und umfasst auch Tätigkeiten wie Baumwolle pflücken, Getreide ernten und Häuser bauen. Oppositionelle Eritreer behaupten, dass die Gewinne dieser Zwangsarbeit oft in private Taschen von Generälen und Funktionären fließen.
Nicht nur Journalisten, auch Tausende anderer Eritreer sitzen ohne Anklage oder Aussicht auf ein Gerichtsverfahren in Haft, wie es in einem Bericht der Vereinten Nationen heißt. »Besuche von Rechtsanwälten oder Familienangehörigen sind verboten.« Und weiter: »Die Regierung macht weder Angaben zur Gesamtzahl der Gefangenen noch zur geografischen Lage der Haftanstalten. Tod im Gefängnis ist üblich.« Noch ist nicht absehbar, ob sich Eritreas Öffnung Richtung Äthiopien auch in einer inneren Öffnung Bahn bricht. epd/nd
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