Marx und die Anarchisten

Zeitschriftenkritik

  • Dieter Janke
  • Lesedauer: 2 Min.

Unter Anarchie wird gemeinhin Chaos verstanden. Politischer und philosophischer Anarchismus gilt als Geistesströmung mit einem anzustrebenden gesellschaftlichen Ideal. Seinem altgriechischen Wortstamm nach geht es hingegen um »Herrschaftslosigkeit« im Sinne einer Ablehnung jeder Art von Herrschaft von Menschen über Menschen. Dieser wird eine Gesellschaft entgegengestellt, in der sich Individuen auf freiwilliger Basis selbstbestimmt und föderal organisieren. Das vordergründige Negativimage hielt und hält sich dessen ungeachtet bis hin in den linken Mainstream seit ehedem.

Es ist das Verdienst der Herausgeber des jüngsten Heftes »Berliner Debatte Initial«, das ambivalente Verhältnis »Marx und der Anarchismus« hinsichtlich des produktiven Gehalts der streitbaren Beziehung jener »feindlichen Brüder« näher beleuchtet zu haben. Das Heft gibt einen informativen Überblick über die dabei diskutierten Fragen und Positionen. So hat sich Marx selbst mit den Stammvätern des modernen Anarchismus, Bakunin und Proudhon, auseinandergesetzt, vor allem mit deren Staatsverständnis bzw. Geldtheorie (St. Wasko, M. Schuhmann, U. Busch). An ihren Konzepten reibt er sich ebenso produktiv wie an denen des französischen »Berufskonspirateurs« Louis-Auguste Blanqui. (A. Migliorini). Und auch Friedrich Engels als Freund und Weggefährte von Marx macht in seinen Betrachtungen zu den Pariser Kämpfen von 1871 »anarchistische Affinitäten« aus, wenn er gegen den »Aberglauben an den Staat« polemisiert, der sich in den 1890er Jahren in der deutschen Sozialdemokratie breitgemacht habe (O. Briese).

Die folgenden Beiträge im Heft bieten informative Deskriptionen beispielhafter Debatten zwischen Vertretern von Marxismus und Anarchismus als zwei zentrale linke Denkgebäude in der Umbruchzeit zwischen 1872 und 1914 (Ph. Kellermann), zur Auseinandersetzung Gustav Landauers mit dem »Vorwärts« als quasi offizielle Stimme der deutschen Sozialdemokratie (A. Lucet) und des in hiesigen Breiten vermutlich weitestgehend unbekannten Versuchs zur Begründung eines jüdischen Volkssozialismus durch Viktor Chaim Arlosoroff (M. Lindenau).

Ungeachtet der dominierenden theoretischen wie auch praktischen Differenzen zwischen Marxisten und Anarchisten gab es auch Verständigungsversuche der »feindlichen Brüder« und gegenseitige Bezugnahmen, worüber Jan Hoff schreibt. Die abschließenden Aufsätze widmen sich aktuellen Bezugnahmen beider Lager bei den Vorstellungen zur Befreiung der Arbeit (P. Seyferth) bzw. zur Eigentumsfrage der Commens-Theoretiker (J. Leibiger). Ein schönes nachträgliches Geschenk der Redaktion »WeltTrends« zum 200. Geburtstag von Marx.

Marx und der Anarchismus. Berliner Debatte Initial, Heft 2/2018, 158 S., br., 15 €. Zu beziehen über: Redaktion »WeltTrends«, MedienHaus Babelsberg, August-Bebel-Straße 26, 14482 Potsdam.

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