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Als die Lok für Linke verboten war

Hamburg lässt die Folgen des sogenannten Radikalenerlasses aufarbeiten

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Amtlicher Gesinnungsschnüffelei sahen sich selbst Bewerber um einen Job als Briefträger, Lokführer oder Schulhausmeister ausgesetzt, nachdem Anfang 1972 in der Bundesrepublik der sogenannte Radikalenerlass in Kraft getreten war. Mit ihm hatten sowohl alle Ministerpräsidenten als auch Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) den Weg geebnet zu Bespitzelung, zum Aushorchen durch den Verfassungsschutz und in vielen Fällen de facto zu Berufsverboten.

Man wolle den öffentlichen Dienst vor radikalen Elementen von rechts und links schützen - so wurde das Machwerk seinerzeit begründet. Es entpuppte sich als Keule, die fast ausschließlich in die linke Richtung geschwungen wurde. Sie traf bereits Menschen, die an Demonstrationen teilnahmen, Flugblätter verteilten oder sich an einer »kommunistisch« angehauchten Diskussion beteiligten.

Nach Niedersachsen und Bremen hat nun auch Hamburg beschlossen, dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte durch Wissenschaftler aufarbeiten zu lassen und zu ermitteln, wie viele Menschen und in welcher Weise sie unter dem Erlass zu leiden hatten. Bei der Entscheidung zu diesem Schritt zeigte sich die rot-grüne Koalition in der Bürgerschaft am Mittwochabend recht halbherzig. Lehnte sie doch den Wunsch der Linksfraktion ab, Betroffenen zumindest in Härtefällen eine finanzielle Entschädigung zu zahlen.

Christiane Schneider (LINKE) hatte zu bedenken gegeben, dass zahlreiche Frauen und Männer durch das Verweigern einer Anstellung im öffentlichen Dienst oder sogar durch die Entlassung aus ihm lange Zeiten der Arbeitslosigkeit hinnehmen mussten. Massive Einkommenseinbußen seien die Folge gewesen und entsprechend niedrig seien die Renten. Manche Menschen, die vom »Radikalenerlass« aus dem geplanten Berufsweg katapultiert wurden, müssten deshalb heute mit wenigen hundert Euro im Monat auskommen, mahnte die Abgeordnete.

Doch ihrem Appell gegenüber zeigten sich die übrigen Fraktionen taub. Und das taten sie auch angesichts des Antrages der LINKEN, der besagte: Die Bürgerschaft möge in ihrem Beschluss alle Hamburger und Hamburgerinnen, denen durch den »Radikalenerlass« Unrecht geschehen ist, »um Entschuldigung« bitten. In Niedersachsen hatte sich die damals noch regierende rot-grüne Koalition im Jahr 2016 für diese Worte entschieden. In Hamburg beschränkten sich SPD und Grüne dagegen darauf, den Betroffenen »Respekt und Anerkennung« auszusprechen und zu konstatieren: Der Erlass sei »ein unrühmliches Kapitel in der Geschichte Hamburgs, das ausdrücklich bedauert wird«.

Noch einmal wurde in der Debatte die Erinnerung an dieses »Kapitel« wach, das so manche berufliche Biografie zerstörte. Nach derzeitigen Erkenntnissen soll es während seiner Gültigkeit bei den Verfassungsschutzbehörden bundesweit rund 3,5 Millionen sogenannter Regelanfragen gegeben haben. Immer dann wurden sie gestartet, wenn sich jemand bei einem öffentlichen Arbeitgeber beworben hatte - sei es als Lehrerin, Rechtsreferendar, Krankenschwester oder Sozialarbeiterin.

Doch auch Menschen, die bereits im öffentlichen Dienst tätig waren, mussten um ihren Arbeitsplatz bangen, wenn sie ins Raster des Erlasses gerieten. Eine Mitgliedschaft in der DKP, einer zugelassenen Partei, reichte für den Rausschmiss. In Hamburg war es damit 1979 vorbei - der Senat stoppte die Schnüffelei. Auch die anderen Bundesländer, zuletzt Bayern 1991, kippten den Erlass.

Das geplante Vorgehen der Wissenschaftler, die seine Auswirkungen für Hamburg untersuchen sollen, hätte Rot-Grün nicht detailliert genug dargestellt, meinte die CDU. Sie lehnte den Antrag ab, während ihm die FDP in einzelnen Punkten zustimmte. Ein Nein gab es auch von der AfD, deren Abgeordneter Dirk Nockemann den »Radikalenerlass« verteidigte: Dieser habe Verfassungsfeinden »den Kampf gegen das Grundgesetz« unmöglich machen sollen.

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