Reisebücher wurden Bestseller

Die Ausstellung «Leseland im Umbruch» im Schloss Rheinsberg

  • Till Sailer
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein skurriler Kontrast zwischen den über Jahrzehnte vernachlässigten Fassaden und der schrillen Farbigkeit der Schaufensterwerbung. Das ist es, was viele dieser von außen fotografierten Buchhandlungen gemeinsam haben.« So fasste Peter Walther vom Brandenburgischen Literaturbüro Potsdam in seiner Laudatio zur Eröffnung von Detlef Bluhms Ausstellung »Leseland im Umbruch« seine Eindrücke zusammen. In der Remise des Schlosses Rheinsberg präsentieren das Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum und das Brandenburgische Literaturbüro eine Fotoausstellung, in der 60 Buchhandlungen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern abgelichtet sind, aufgenommen unmittelbar nach dem Ende der DDR 1990/91. Alle bieten ein ähnliches Bild, ob eine der großen, marktbeherrschenden staatlichen Volksbuchhandlungen zu sehen ist oder einer der wenigen privaten oder kirchlichen Buchläden. Peter Walther stellte dazu fest: »Die Häuser kamen mit dem Tempo nicht mit, in dem die Menschen seinerzeit gezwungen waren, sich an die neuen Verhältnisse anzupassen.« Diese neuen Verhältnisse betrafen im staatlichen Sektor die Privatisierungen, welche die Treuhandanstalt durchzuführen hatte. Doch auch die nicht staatlichen Geschäfte mussten lernen, mit den neuen Marktbedingungen umzugehen, was den Buchhandel betraf, aber auch Eigentumsfragen der Immobilien.

Der Schriftsteller und Fotograf Detlef Bluhm, heute Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in Berlin-Brandenburg, war damals als westlicher Verlagsvertreter im Osten unterwegs. Er hielt quasi nebenbei und absichtslos 92 Buchhandlungen in 70 Orten im Bild fest. »Von den 60 jetzt in der Remise zu sehenden Buchhandlungen existieren heute nur noch zwölf am ursprünglichen Standort und noch 22 in anderen Gebäuden«, teilt er bei der Führung durch seine Ausstellung mit. »Bei der Privatisierung sollten die Buchhandlungen an die Leute gehen, die dort gearbeitet haben. Aber das Geld, was an die Treuhand gezahlt werden musste, war nicht wenig, wenngleich weniger als das, was es im Westen des Landes gekostet hätte.« Zehn- bis zwanzigtausend Mark seien im Schnitt verlangt worden. Als Beispiel nannte Bluhm die ehemalige Volksbuchhandlung »Ulrich von Hutten« in Frankfurt (Oder), die eine der größten im Raum Brandenburg war. Sie existiert zwar noch an gleicher Stelle, »ging aber vorübergehend an Kiepert, weil die Mitarbeiter den großen Kredit nicht übernehmen wollten«. Nur bei elf Buchhandlungen hatten ehemalige Mitarbeiter des Volksbuchhandels, zumeist die Leiterinnen der Filialen, den Mut, das Risiko zu übernehmen und das Geschäft fortzuführen.

Zu den Risiken gehörte das veränderte Kaufverhalten der Kunden. Zum Foto des Buchladens in Niemegk schrieb der Fotograf in der Bildliste: »Diese Buchhandlung schloss am Ende des Tages, an dem ich sie im Sommer 1990 erstmals besuchte, für immer. Dem Inhaber gehörte auch das Haus, und er meinte, dass sich die Buchhandlung in den neuen Zeiten nicht rentieren würde.« Peter Walther nannte Gründe: »Der Bestand des einstigen Leselands war zu großen Teilen auf riesigen Halden entsorgt worden. Zu den Bestsellern jener Zeit gehörte noch über Jahre das Buch ›Tausend legale Steuertricks‹.« Das Reise- und Ratgebersegment bekam gegenüber der Belletristik Übergewicht. Die Kunden hätten vor allem Stadtpläne und Reiseführer von Westberlin und Brandenburg gewollt, ergänzt der einstige Vertreter Bluhm durchaus verständnisvoll. Zu den Schwierigkeiten habe auch gehört, dass »unseriöse Verlagsvertreter den Buchhändlern Westbücher aus den 60er und 70er Jahren, also Ramschware, aufgeschwatzt haben und überteuert verkauften«.

Detlef Bluhm erinnerte sich, dass es kurz nach 1989 in dem Gebiet, das er bereiste, auch Neugründungen von Buchhandlungen gab. Dazu gehörte die von Bestensee, die jedoch nicht lange überlebte. Ganz verschwunden sind insgesamt 37 Volks-, Kreis- und Stadtbuchhandlungen sowie private Buchläden. Eine traditionsreiche kleine Buchhandlung war die von »Carl Bürmann« in Fürstenwalde, die sich in DDR-Zeiten tapfer gehalten hatte, obwohl die privaten Buchgeschäfte bei der Zuteilung benachteiligt wurden. Die Besitzer kamen auch gut über die Wendezeit, mussten aber dennoch vor einigen Jahren schließen. Durch die Neugestaltung des Stadtzentrums mit großem Kaufhallenkomplex war das Geschäft an einen ungünstigen Platz an einer Kreuzung gedrängt worden. Für den notwendigen Standortwechsel fehlte der finanzielle Hintergrund.

»Kaum zu glauben, dass alles dies inzwischen fast dreißig Jahre her ist«, resümierte Peter Walther. »Völlig andere Probleme stehen auf der Tagesordnung, und nicht selten tut sich der alte Graben zwischen Ost und West wieder auf.« Dass Detlef Bluhm damals auf den Auslöser gedrückt habe und damit den Besuchern von heute diese Zeitreise ermöglichte, bezeichnete Walther als großen Glücksfall. Die Ausstellung mache deutlich, dass »die Zeit nach 1989 vor allem den Menschen im Osten Flexibilität, Pragmatismus, Leistungs- und Wandlungsbereitschaft abverlangt hat«. Diese Eigenschaften seien »angesichts verkrusteter Strukturen in Politik und Gesellschaft heute wieder besonders notwendig«. Allen Beteiligten, nicht zuletzt dem Tucholsky-Literaturmuseum sei Dank für eine Ausstellung, die Erinnerungen weckt und Nachdenken provoziert.

Bis 30. September in Rheinsberg in der Remise am Schloss

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