Raus aus dem Wachstumszwang, aber wie?

Besonders die künftige Rolle des Staates wurde auf einer Postwachstums-Konferenz heftig debattiert

  • Ulrich Brand
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise vor zehn Jahren wurden Stimmen lauter, sich von einer einseitigen Fixierung auf das Wirtschaftswachstum und dessen Steigerung zu verabschieden. Dazu kam die zunehmende Einsicht, dass der expansive globale Kapitalismus die natürlichen Lebensgrundlagen zerstört. Stattdessen sollten Lebensqualität, Umweltschutz, weniger Erwerbsarbeit und mehr sinnvolle Tätigkeiten gestärkt werden. Die Debatten haben Regierungskommissionen, die Öffentlichkeit und den Bundestag erreicht, dort etwa mit einer Enquete-Kommission zu »Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität« von 2011-2013.

Die globale Debatte um »Postwachstum« (Englisch: Degrowth) versucht, die Ursachen und Alternativen genauer zu bestimmten. Versprechen einer »grünen Ökonomie« werden als falsch zurückgewiesen: Es gehe vielmehr um einen Ausstieg aus der kapitalistischen Wachstumslogik und die damit verbundenen Macht- und Eigentumsverhältnisse und gleichzeitig um grundlegendere Alternativen.

Nach Budapest 2016 trafen sich vergangene Woche etwa 700 AktivistInnen, WissenschaftlerInnen und Interessierte im südschwedischen Malmö zur 6. Degrowth-Konferenz. Die Stadt wirkt im Sommer derart entspannt, dass man als Teilnehmer bei Ankunft umgehend in einen Entschleunigungsmodus kommt. Viele Unterkünfte stellen Gästen kostenlos Fahrräder zur Verfügung, man hat den Eindruck, dass sich auf den Straßen Autos und Fahrräder zahlenmäßig fast die Waage halten. Der Veranstaltungsort »Volkspark« im Zentrum der Stadt lässt ahnen, welche Rolle Volksbildung und unkommerzielles Zusammenkommen in den guten alten sozialdemokratischen Zeiten spielten.

Doch der angenehme Eindruck wurde in Vorträgen und Workshops zurechtgerückt. Max Koch, aus Berlin stammender Professor für Sozialarbeit an der Universität Lund, argumentierte, dass der skandinavische Wohlfahrtsstaat auf einer übermäßigen Ausbeutung der Natur basiert - und auf internationaler Ungleichheit. Trotz des hohen Umweltbewusstseins der skandinavischen Bevölkerung sei der ökologische Fußabdruck weiter übermäßig groß. Daher benötige manr neue Ansätze, die in Richtung »nachhaltiger Wohlstand« gehen und den Wohlfahrtsstaat umbauen.

Hitzige Kontroversen gab es auf Podien und in Workshops um die Rolle des Staates in den notwendigen Umbauprozessen. Der schwedische Umwelthistoriker Andreas Malm sprach sich für einen Öko-Leninismus aus, weil es angesichts der katastrophalen Umweltsituation einer Avantgarde bedürfe wie eben der Degrowth-Bewegung, um in kürzester Zeit eine radikale Klimapolitik voranzubringen. Entscheidend für die Umsetzung sei dann der Staat. Dem wurde heftig widersprochen, weil der Staat eher als Teil des Problems gesehen wird, der den Ausbau von Flughäfen und der Automobilindustrie vorantreibt.

Barbara Muraca von der Oregon State University, eine der Protagonistinnen internationaler Degrowth-Debatten, plädierte für einen Perspektivwechsel: Die Welt sollte nicht - wie in der Umweltpolitik üblich - aus einer Vogelperspektive auf »den Planeten« betrachtet werden. Denn damit verschwinden in der Regel Machtverhältnisse und Ungleichheit. Eine Perspektive »von unten« sensibilisiere für die Erfahrungen von Menschen, dass sie aus Entscheidungen ausgeschlossen würden. Das dominante westliche und oft technokratische Wissen sollte durch andere Wissensformen ergänzt werden, etwa indigenes Wissen im globalen Süden oder das Erfahrungswissen von LandwirtInnen, das für zukunftsfähige Politik zentral sei.

Eine Gewerkschafterin aus Deutschland war enttäuscht, dass es zwar einige Veranstaltungen zur Zukunft der Arbeit gab, aber die Rolle der Gewerkschaften und Arbeitskämpfe so gut wie keine Rolle spielten. Das ist umso dramatischer, weil die Interessen der Beschäftigten - etwa in der Automobilindustrie oder Kohleförderung - ja ganz entscheidend seien bei einem radikalen sozial-ökologischen Umbau.

Von einer Degrowth-Bewegung zu sprechen, wäre wohl vorschnell, aber die wissenschaftliche und politische Perspektive ist wichtig. Der Wert solcher Konferenzen liegt darin, neben präziser Analyse die bestehenden Alternativen kennenzulernen und zu diskutieren und neue Initiativen anzugehen.

Ulrich Brand ist Professor für Internationale Politik an der Universität Wien und nahm unterstützt von der Rosa Luxemburg Stiftung an der Konferenz in Malmö teil. Er war Mitglied der erwähnten Enquete-Kommission des Bundestages.

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