Angler ersetzen Berufsfischer

Deutscher Fischereitag in Lübeck sorgt sich um Fangverbot in der Ostsee und den »Brexit«

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Musik spielt eigentlich im Binnenland. Die meisten Aktiven in der deutschen Fischwirtschaft sind Angler aus der ganzen Bundesrepublik. Abertausende bevölkern im Sommer und an den Wochenende die Küstenorte. Für Schifffahrtsunternehmen und Freizeitindustrie sind sie wichtige Kunden. Und dem Deutschen Fischerei-Verband (DFV) verschaffen sie eine starke Lobby. Bis zu eine Million Mitglieder zählt der Verband, der am Dienstagabend seinen Deutschen Fischereitag in Lübeck begann. Der Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, Daniel Günther (CDU), begrüßte die 250 Teilnehmer aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Der Verband will bis Donnerstag »eine fischerei­politische Lagebewertung vornehmen«.

So hat der Angeltourismus »mit zum Teil schwerwiegenden Auswirkungen zu kämpfen«, beklagt Manfred Wohnrade vom Verein Wassertourismus in Schleswig-Holstein. Seit September 2017 gilt in fünf Schutzgebieten ein vollständiges Angelverbot. Darüber hinaus sind für die Jahre 2017 und 2018 in der westlichen Ostsee die Fangquoten für Dorsch massiv gekürzt worden, nachdem der Bestand eingebrochen war.

Nach den Berufsfischern ist mit einer Tagesfangbegrenzung, dem »Baglimit«, erstmals auch die Freizeitfischerei von fischerei-politischen Einschränkungen betroffen. »Die touristischen und wirtschaftlichen Auswirkungen sind zum Teil erheblich«, klagt Wohnrade. Sein Verein, die »Initiative Anglerdemo« sowie der Verband der Bäder- und Hochseeangelschiffe sehen sich gegenüber dem Umweltschutz benachteiligt. Auf dem Fischereitag fordern sie »Gerechtigkeit und Fairness«.

Sie vermissen auch die Berufsfischer. Das Baglimit für Angler liegt bei fünf Dorschen pro Tag - Kutterfischer müssen sich mit maximal drei zufrieden geben, wenn man die Jahresquoten runterrechnet. Immerhin werden die Verluste der Berufsfischer teilweise durch Krisenhilfen des Bundes und der EU gemildert.

Doch bleiben Fangquoten ein ewiges Streitthema in der Branche. Der professionellen Heringsfischerei droht sogar »ein existenzvernichtender Fangstopp«, sorgt sich der DFV-Vize-Präsident Dirk Sander. Tatsächlich kann Fischerei mithilfe von Fangquoten wirkungsvoll reguliert werden. Darüber sind sich eigentlich alle Akteure einig.

Dazu wird in der Europäischen Union die für ein Meeresgebiet »festgelegte Gesamtfangmenge« (TAC) auf einzelne nationale Fangquoten für die an dieses Meeresgebiet grenzenden Länder heruntergebrochen. So erhält zum Beispiel jeder Anrainer der Ostsee eine nationale Fangquote.

Früher wurde die TAC für die kommerziellen Fischbestände allein nach politischen Erwägungen festgelegt. Die zulässigen Fangmengen, heute der »maximale Dauerertrag« (ohne die Fischbestände zu gefährden), werden vom EU-Rat der Fischereiminister für die meisten Bestände jährlich bestimmt. Im Unterschied zu früher basieren sie aber auf wissenschaftlichen Gutachten, die alle Bestände nachhaltig sichern sollen. Weniger scharf sind die EU-Vorgaben für das Mittelmeer.

Jeder zweite Fisch, den Verbraucher verspeisen, stammt allerdings von außerhalb der EU. »Während immer mehr Fischbestände weltweit überfischt und ausgebeutet werden, schrumpft zugleich die Gesamtfangmenge in der globalen Meeresfischerei«, warnt Stella Nemecky, Referentin für Fischereipolitik beim WWF, vor einer eurozentrierten Sicht.

Die Bestandsgefährdung gehört in Nord- und Ostsee und Nordostatlantiks dagegen weitgehend der Vergangenheit an. Bis 2020 sollen laut EU-Kommission sogar alle Fischbestände in Europa nachhaltig bewirtschaftet werden.

Allerdings können die wissenschaftlichen Bestandsschätzungen des Internationalen Rats für Meeresforschung (ICES) in Kopenhagen von Fisch zu Fisch und Jahr zu Jahr stark schwanken. So hat ICES für 2019 eine einjährige Aussetzung der Heringsfischerei in der westlichen Ostsee empfohlen.

Ab dem 1. September verliert die Heringsfischerei in der westlichen Ostsee dadurch schon das für die Preise wichtige MSC-Nachhaltigkeitssiegel. Begründet wird der Schritt mit dem von 90 000 auf 120 000 Tonnen nach oben korrigierten Richtwert für einen nachhaltigen Biomassebestand an Heringen. Weil der aktuelle Heringsbestand nur bei etwa 105 000 Tonnen liegt, gilt der Hering als gefährdet. Was eine nachhaltige Fischerei ausschließe, heißt es aus dem federführenden Thünen-Institut, welches auch dem ICES angehört.

Für viele Küstenfischer ist der Hering jedoch weiterhin der Brotfisch. Im Juli übergaben daher 38 Kommunen zwischen Wismar und Greifswald eine Petition an EU-Kommissar Karmenu Vella: »Ein totales Fangverbot hätte verheerende sozioökonomische Konsequenzen.«

Andere Sorgen treibt die Hochseefischerei um. Durch einen harten »Brexit« könnte die Hälfte der deutschen Fischfangmenge wegfallen, da er in britischen Gewässern eingenetzt wird. Auf hoher See sind allerdings weniger als ein Dutzend Schiffe aus Deutschland unterwegs. Die Flotte der Kutter- und Küstenfischer besteht derweil noch aus 1400 Fahrzeugen. Mit abnehmendem Trend: So ist die Zahl der Fischer in Mecklenburg-Vorpommern seit DDR-Zeiten von rund 1000 auf 200 gesunken.

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