Im Funkloch hilft auch superschnelles Internet nicht

Der neue Mobilfunkstandard 5G steht in den Startlöchern - dabei sind viele Probleme der jetzigen Netze noch nicht gelöst

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Niedersachsens Landesregierung hat einmal nachgefragt bei den Bürgern. Ergebnis: Sie zeigten 3500 Funklöcher im Land an. Um die größten zu stopfen, hilft zunächst einmal Volkswagen - Bußgelder im Zuge des Abgasbetruges werden zum Ausbau des Mobilfunknetzes genutzt. Eine Milliarde Euro sollen insgesamt in das Digitalprogramm der rot-schwarzen Regierung in Hannover fließen.

Andernorts gibt es ebenfalls massenhaft Funklöcher. Auch dort sollen sie mit Hilfe der privaten Wirtschaft geschlossen werden, aber nicht mit Bußgeldern. Im Zentrum steht die Versteigerung von Frequenzen der neuen Mobilfunkgeneration 5G. Der Bundesminister für digitale Infrastruktur, Andreas Scheuer (CSU), schloss im Juli mit den drei großen Anbietern einen Deal: Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica versprachen, 99 Prozent der deutschen Haushalte bis 2021 mit einem einigermaßen flotten Netz zu versorgen. Der Bund versprach im Gegenzug den Mobilfunkanbietern Entgegenkommen bei den 5G-Frequenzen.

Die neue Technik soll wieder einmal die Kommunikation revolutionieren, so lautet das Versprechen der Branche. Passende Produkte und Anwendungen werden wie schon im Vorjahr auch auf der IFA 2018 präsentiert. 5G soll das vor acht Jahren eingeführte LTE-Netz (4G) ergänzen und perspektivisch ersetzen. Dabei gilt das deutsche LTE-Netz als eines der schlechtesten in Europa.

Auch für den künftigen 5G-Kosmos sind längst nicht alle Probleme auch nur erkannt. So müssten allein in Deutschland zusätzlich Hunderttausende Funkzellen installiert werden, da die neuen Frequenzen nicht weit tragen. Immerhin sprengen die verheißenen Leistungsdaten den bisherigen Rahmen: Die maximale Datenrate soll gegenüber den LTE-Netzen bis zum 100-Fachen steigen, was 10 000 Megabits pro Sekunde entspräche - selbst für einen TV-Film werden gerade einmal um die 15 Megabits benötigt. 5G soll quasi in Echtzeit Millionen Mobilfunkgeräte weltweit gleichzeitig ansprechen können, wodurch nicht allein Bandbreite und Geschwindigkeit der Datenübertragung flotter werden, sondern vor allem auch neue Anwendungsbereiche im industriellen und gewerblichen Bereich möglich werden.

Schon heute verweigern sich aber viele Verbraucher dem Schneller-Höher-Weiter im mobilen Netz: Von den rund 130 Millionen Handys in Deutschland sind nur 40 Millionen für den derzeit schnellsten Mobilfunkstandard freigeschaltet. Und dessen Spitzengeschwindigkeiten können Kunden selbst in den Metropolen nur punktuell nutzen. Statt das Maximaltempo noch zu steigern, wäre daher ein hohes Durchschnittstempo an jedem Ort die bessere Lösung.

Erste 5G-Feldversuche der EU sind im Frühjahr in Turin und Hamburg angelaufen. In der Hansestadt sollen beispielsweise Ampeln und weitere Verkehrsleittechnik im Hafen über den neuen Standard gesteuert werden. Außerdem ermitteln Barkassen via Sensoren Daten über Luftqualität und Windstärke in Echtzeit. In Turin werden bis Mitte 2019 Multimedia-Anwendungen getestet. Bei den beiden öffentlich-privaten Partnerschaften mit an Bord sind Deutsche Telekom und Telecom Italia, Nokia, Huawei und Samsung. Auf dem Lausitzring in Brandenburg baut der Prüfkonzern Dekra derweil mit Telekomfirmen eine private 5G-Teststrecke für vernetzte und selbstfahrende Autos auf. Auch in Industrie, Medizintechnik und Verwaltungen wird mit neuen digitalen Möglichkeiten experimentiert. Der neue Standard soll in Europa im Jahr 2020 starten. Die großräumige Praxis dürfte jedoch weit länger auf sich warten lassen.

Vorher werden die Lizenzen versteigert. Die Bundesnetzagentur will im September ihre Vergabebedingungen vorstellen. Dienstleister ohne Netze wie Freenet befürchten, dass die Auktion auf die drei bisherigen Betreiber zugeschnitten wird. Streit um ein wettbewerbsfeindliches Oligopol ist also programmiert. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und seine Länderkollegen hoffen derweil, dass - neben dem Stopfen der Funklöcher - noch ein dicker Batzen in die öffentlichen Kassen rollt. Die Rede ist von zehn bis zwölf Milliarden Euro.

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