Das Eingeständnis

WM-Analyse: Bundestrainer Joachim Löw räumt Fehler ein, will aber keine Radikalreform

  • Frank Hellmann, München
  • Lesedauer: 4 Min.

Die verbale Aufarbeitung des historisch schlechten Abschneidens einer deutschen Nationalmannschaft bei einer Fußball-Weltmeisterschaft ging längst in die Verlängerung, als Joachim Löw nach seinem Befinden befragt wurde. »Wie geht es Ihnen?« Eine profane Frage, die den Bundestrainer beinahe am meisten in die Bredouille brachte. »Gut, gut, gut - oder erwecke ich einen anderen Eindruck?« Nein, hätte die Antwort aus dem nicht voll besetzten Auditorium der Münchner Arena lauten müssen.

Aufgeräumt, aber nicht angespannt hatte der 58-Jährige selbstkritisch auf das Versagen geblickt, dass er selbst als »absoluten Tiefschlag« ansah. »Wir sind alle weit unter den Möglichkeiten geblieben und haben zu Recht die Quittung bekommen.« Wer einer Analyse solch eine Einleitung voranstellt, der erntet vom naturgemäß weniger Widerspruch, als wenn er auf die Richtigkeit seiner Taktik und Personalauswahl besteht. Löw war gut beraten und hatte überdies zwei Monate Zeit, die in seinen Verantwortungsbereich fallenden Versäumnisse zu benennen.

Hauptmanko: Den Ballbesitz, die totale Dominanz auf die Spitze treiben zu wollen. »Das war meine allergrößte Fehleinschätzung.« Denn seine Mannschaft, gespickt mit Spielern, die aus verschiedensten Gründen ihr Höchstniveau nicht abrufen konnten, agierte damit ohne Netz und doppelten Boden. »Ich wollte das perfektionieren, aber das Risiko war zu hoch. Es war fast schon arrogant.«

Dass eine stabilere Spielweise besser gewesen wäre, hätten die vergangenen WM-Turniere unter seiner Regie gezeigt. »2010 war die Mannschaft von einer starken Defensive geprägt. 2014 haben wir die goldene Mitte gefunden«, erklärte Löw und legte zu diesem Komplex detailliertes Zahlenmaterial vor. Zur Trägheit beim Abspiel oder Ineffizienz beim Abschluss gesellte sich 2018 auch fehlender Enthusiasmus. »Wir haben es nicht geschafft, das Feuer zu schüren und die Schlüsselreize für bedingungslosen Einsatz zu setzen.«

Doch hat die WM nicht nur sportliche Baustellen aufgemacht - und so leitete Löw zur Causa Mesut Özil über. Die Wirkung der Erdogan-Fotos habe er »absolut unterschätzt« und gedacht, mit dem Besuch beim Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier sei der Fall erledigt. »Dieses Thema hat Kraft gekostet, kann aber nicht der Grund sein, dass wir ausgeschieden sind.« Dass die Beziehung zu seinem Lieblingsschüler nach dem krachenden Rücktritt belastet ist, daraus machte Löw keinen Hehl. »Der Spieler hat mich nicht angerufen. In der Vergangenheit war es sonst immer so. Ich habe mehrfach versucht, ihn zu erreichen, per SMS oder per Telefon. Es ist mir nicht gelungen.«

Überdies stellte Löw klar: »Es gab niemals in der Mannschaft einen Ansatz von Rassismus.« Der auf Harmonie bedachte Genussmensch konterte auch den Vorwurf der Cliquenbildung, die sich scherzhaft als »Kanaken« und »Kartoffeln« titulierten: »Es wird mal ein Spaß gemacht, das gehört dazu. Es gibt keine unüberbrückbaren Differenzen oder Konflikte.« Gleichwohl: Der nötige Teamgeist ließ sich eben auch nicht erzeugen.

An dieser Stelle setzte auch Oliver Bierhoff ein, den es geärgert hat, »dass ich bei gewissen Entwicklungen nicht eingegriffen habe«, aber es sei vollkommen verkehrt, »alles über den Haufen zu werfen.« Der Nationalmannschaftsdirektor sprach von einem klaren Verhaltenskodex für die Nationalspieler. Auch mehr Fannähe soll erzeugt werden. Ob der Markenname »die Mannschaft« abgeschafft wird, ließ der 50-Jährige offen.

Das Gesicht der DFB-Auswahl ändert sich vorerst nur bedingt: Für die Länderspiele gegen Frankreich in der Nations League am 6. September und den Test gegen Peru drei Tage ist nur Sami Khedira gestrichen. 17 Spieler aus dem WM-Kader wurden erneut nominiert. Özil und Mario Gomez sind zurückgetreten, Kevin Trapp, Marvin Plattenhardt und Sebastian Rudy rauschten durchs Rüttelsieb - alles keine radikalen Reformen. Das Festhalten an Manuel Neuer, Mats Hummels, Jerome Boateng, Toni Kroos und Thomas Müller ist für Löw wichtig: »Wir brauchen eine Achse, an denen sich die anderen orientiert.« Leroy Sané kehrt zurück, mit Kai Havertz, Nico Schulz und Thilo Kehrer wurden drei Neulinge berufen. Das Vertrauen in Ilkay Gündogan ist nicht allein ein Statement in der Integrationsdebatte, Löw ist auch vom sportlichen Wert des Mittelfeldspielers überzeugt.

Auch im Team hinter dem Team halten sich die Konsequenzen in Grenzen: Thomas Schneider gibt seinen Job als Assistenztrainer auf, wird dafür aber Chef der Scoutingabteilung, während der Löw-Vertraute Urs Siegenthaler sich vermehrt um Gegneranalyse kümmern soll. Der Betreuerstab wird verschlankt. Ob damit wirklich alles gut ist, werden die nächsten sechs Länderspiele im September, Oktober und November zeigen.

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