»Ich brauche immer Antriebe«

Robert Harting, Deutschlands erfolgreichster Leichtathlet des letzten Jahrzehnts, blickt zurück und nach vorn

Herr Harting, Sie feierten einen emotionalen, anscheinend sogar wehmütigen Abschied vor 45.000 Fans. Wie empfanden Sie Ihren letzten Auftritt beim ISTAF?

Ich hatte mir immer gewünscht, dass ich hier zu Hause im Olympiastadion, in meinem »Wohnzimmer«, wie ich immer gesagt habe, meine Karriere beenden kann, in der Nähe meiner Fans, von Freunden und vielen Wegbegleitern. Ich hatte mir vorgenommen, den Abschied richtig zu genießen, ohne sonderlichen Druck. So ist es auch gekommen. Natürlich war es schon sehr, sehr emotional, als ich meine letzte Ehrenrunde lief. Ein unvergesslicher Augenblick.

Zur Person
Aus und endgültig vorbei: Diskuswerfer Robert Harting, Olympiasieger, dreifacher Welt- und zweifacher Europameister, beendete im Berliner Olympiastadion beim 77. ISTAF umjubelt seine zwölfjährige Karriere. Wie fällt sein Rückblick aus? Wie sieht der 33-Jährige sein künftiges Leben ohne Leistungssport? Er stand Rede und Antwort in einer Journalistenrunde. Jürgen Holz war dabei.

Bei Ihrem allerletzten Wurf landete die Scheibe bei 64,95 Metern, womit Sie hinter Ihrem Bruder Christoph, der 65,67 Meter vorgelegt hatte, noch Zweiter wurden. Entsprach das Ihren Erwartungen?

Ich bin durch und durch Leistungssportler und wollte, dass meine Fans zufrieden nach Hause gehen. So hatte ich mir vorgenommen, in die Nähe meiner Saisonbestweite von 65,13 Metern zu kommen. Ich war mir darüber im Klaren, dass angesichts meiner langwierigen Knieverletzung mein Körper eine Überraschungstüte ist. Zwar zwickte meine Sehne nur noch ein bisschen, aber das Knie arbeitete nicht mehr richtig. Ich konnte auch nicht durchgängig trainieren und musste immer wieder pausieren. Von daher bin ich mehr als zufrieden, wie mein letzter Auftritt ausging. Das war noch einmal ein Coup.

Bewahren Sie Ihren Diskus, mit dem Sie beim ISTAF geworfen haben, nun besonders auf?

Ja, er wird zu Hause in eine Vitrine kommen.

Wenn Sie auf Ihre überaus erfolgreiche zwölfjährige Karriere zurückblicken, was würden Sie als etwas ganz Besonderes hervorheben?

Es war eine geile Zeit. Natürlich ist der Olympiasieg 2012 in London ein Erfolg für die Ewigkeit. Aber rückblickend halte ich meinen ersten Weltmeistertitel 2009 zu Hause, im Berliner Olympiastadion für den wertvollsten Erfolg meiner Laufbahn, eben weil dieser Triumph am Anfang meiner Karriere stand. Weltmeister! Das Wort hatte ich vorher noch nie in meinem Kopf formuliert.

Im Überschwang zerrissen Sie sich damals direkt nach dem entscheidenden Wurf sogar ihr Trikot. War das geplant?

Das passierte im Flow. Ich habe auf der Ehrenrunde in jede Richtung Gas gegeben. Das mit dem Trikot mache ich aber schon lange nicht mehr. Meine Oma fand das nämlich gar nicht gut.

Nun bricht für Sie eine Zeit ohne Leistungssport an. Mancher in Ihrer Situation hat es sich später anders überlegt und ist irgendwann doch wieder zurückgekehrt. Können Sie sich das auch vorstellen?

Nein, das kann ich mir ganz und gar nicht vorstellen. Eine Rückkehr in den Diskuskäfig wird es für mich definitiv nicht geben.

Und ein Trainerjob? Käme er irgendwann für Sie in Betracht?

Nein, Trainer will ich nicht werden. Ich sage ganz offen: Das Gehalt eines Trainers ist hierzulande abartig und die Arbeitszeit, der ganze Aufwand ist ebenfalls abartig und nichts für mich. Außerdem ist mir der Trainerstuhl zu heiß. Für Sachen, die ich künftig machen möchte, kommt sowieso ein klassischer Bürojob nicht in Frage.

Wie sehen denn die Pläne für Ihre nähere Zukunft genau aus?

Zunächst einmal mache ich im Herbst endlich Urlaub mit meiner Frau Julia. Und dann muss ich zum Arbeitsamt (lacht). Denn die Bundeswehr, die seit Jahren einer meiner wichtigsten Geldgeber ist, entlässt mich als Sportsoldaten zum 30. September. Aber ich habe natürlich nach den Jahren mit meinen Sponsoren keine Geldnot. Daher ist mir vor dem neuen Leben ohne Leistungssport nicht bange, ich habe viele Pläne. Dazu gehört natürlich, eine Familie zu gründen. Auf jeden Fall habe ich in den nächsten zehn Jahren nicht vor, mich nur auf eine Sache zu fokussieren oder nur an einem Projekt zu arbeiten. Ich weiß genau, wo ich noch in meine Fähigkeiten investieren muss. Darauf richte ich meinen Fokus.

Was heißt das konkret?

Ich mache im nächsten Jahr erst mal mein Studium an der Universität der Künste in Berlin fertig. Dann habe ich einen Master-of-Arts-Abschluss in Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation in der Tasche. Ich denke, damit steht mir allerhand offen. Irgendwann werde ich in der freien Wirtschaft tätig sein. Mein Ziel ist es, Sachen zu machen, die etwas verändern und nicht austauschbar sind. Ich brauche immer Antriebe!

Sie waren stets ein kritischer, bisweilen unbequemer Zeitgeist, haben sich viel eingemischt, auch bei unangenehmen Themen. Was bleibt da zurück?

Es gab sicher vieles, von der Sportlotterie bis zum Antidopinggesetz. Das habe ich kritisiert, weil es die Athleten nicht schützt. Das Gesetz macht Doping zur Straftat, und die Sportler müssen im Zweifelsfall ihre Unschuld beweisen. Da habe ich Sorge wegen des Missbrauchs.

Werden Sie sich von der Leichtathletik verabschieden?

Es ist kein Abschied von der Leichtathletik für immer. Ich denke, dass ich beim nächsten ISTAF im Berliner Olympiastadion auf der Tribüne sitzen werde. Ich schaue dann von außen zu. Mal sehen, wie meine Nachfolger ihre Sache machen.

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