Taschengeld für Naziopfer ist »rechtens«

Kein Unrechtsbewusstsein im Fall Ludwig Baumann

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

Opfern des Nazi-Reiches werden Unterstützungsleistungen gekürzt, wenn sie in Alten- oder Pflegeheim umziehen müssen. Nur Bürokratie oder bewusste Demütigung? Die Frage liegt nahe, denn kaum ist Ludwig Baumann »unter der Erde«, da erweist sich: Die Bundesrepublik Deutschland macht keinen Frieden mit dem einstigen Wehrmachtsdeserteur. Der Sohn des 1942 desertierten Matrosen in Hitlers Kriegsmarine, der zehn Monate in der Todeszelle saß, zu KZ-Haft »begnadigt« wurde und nach dem Krieg als Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz für die Anerkennung und Achtung seiner Kameraden kämpfte, bekam eine Zahlungsaufforderung der Generalzolldirektion Köln zugestellt. Die Behörde macht darin eine »Überzahlung« von 4157,46 Euro geltend und fordert vom Erben - nach Einbehalt zweier Monatsrentenbezüge - die Rückzahlung von Leistungen, die der im Juli 2018 Verstorbene nach den sogenannten Härterichtlinien des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes (AKG) zu unrecht erhalten haben soll.

Das empörte nicht nur André Baumann, sondern auch Abgeordnete der Linksfraktion, die gemeinsam mit Ludwig Baumann jahrelang für die öffentliche und rechtliche Rehabilitierung der Wehrmachtdeserteure gekämpft hatten. In einer Antwort auf ihre Kleine Anfrage an die Bundesregierung wurde ihnen jedoch beschieden, dass alles rechtens sei. Muss ein Zahlungsempfänger in ein Alters- oder Pflegeheim umziehen, wird die Opferrente wird auf ein sogenanntes Heimtaschengeld zusammengestrichen.

Baumann kam 2017 in einem Bremer Caritas-Pflegeheim unter. Weil der damals bereits 95-Jährige seinen Umzug der Behörde nicht mitgeteilt habe, hätte sich - laut zuständiger Zolldirektion - die Rückzahlungsforderung ergeben. Die Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz betonte dagegen, diese allgemein verbindliche Praxis könnten Betroffene in ihrer letzten Lebensphase nur als »eine abschließende Beleidigung, Demütigung, ja als Verhöhnung empfinden«. Die Verfügung, »über den Tod hinaus« Angehörige zur Kasse zu bitten, betrachtet man als »makabren Irrweg staatlicher Bürokratie«, die menschliche Befindlichkeiten aus dem Blick verloren habe.

Die Abgeordneten der Linksfraktion im Bundestag Ulla Jelpke, Jan Korte und André Hahn sehen das ähnlich und erinnern daran, dass in Deutschland nur wenige Nazi-Verbrecher vor Gericht gestellt worden sind. Richter, die Deserteure zum Tode verurteilt haben, konnten ihre Karriere nach dem Kriegsende in der Regel unbeschadet fortsetzen und eine hohe Altersrente genießen. Leistungskürzungen für die Opfer seien auch angesichts der inzwischen nur noch wenigen lebenden NS-Opfer unverständlich.

Die Bundesregierung betont in ihrer Antwort ungerührt, »die Leistungen nach den AKG-Härterichtlinien sollen den Betroffenen als Ausgleich für das im Nationalsozialismus erlittene Unrecht zugutekommen«. Es werde geprüft, »in den nächsten Jahren« in mehreren Teilschritten die pauschalierten Leistungen auf das Niveau der gesetzlichen Mindestrente nach dem Bundesentschädigungsgesetz anzuheben. Dadurch seien eine weitere Angleichung der Systeme und der Wegfall individuell berechneter Leistungen in Betracht zu ziehen.

Laut ihrer Übersicht erhalten derzeit noch 40 NS-Opfer »ergänzende laufende Leistungen«. Die gezahlte Summe betrug 2017 gerade einmal 319 580,13 Euro.

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