In gespannter Konkurrenz verbunden

Die Streitkräfte Russlands und Chinas üben bei Großmanöver einen neuen Schulterschluss - der Westen ist selbst schuld daran

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

In Wladiwostok schüttelten sich der russische Präsident Wladimir Putin und sein chinesischer Kollege Xi Jinping die Hände beim vierten Östlichen Wirtschaftsforum. Nicht weniger strategisch zu werten ist ein Manöver namens »Wostok 2018«, an dem neben 300 000 russischen Soldaten auch Militärs aus China und der Mongolei teilnehmen. Russland schickt 36 000 Militärfahrzeuge und Panzer, rund eintausend Flugzeuge, Hubschrauber und Drohnen sowie 80 Kriegsschiffe und Kräfte der Weltraumtruppen »ins Gefecht«. Laut russischem Verteidigungsminister Sergei Schoigu handelt es sich damit um die größte Übung seit 37 Jahren. Doch nicht die Masse oder der Einsatz hochmoderner Waffensysteme macht westlichen Strategen Sorgen. Sie registrieren mit Unwohlsein die Teilnahme von immerhin 3000 Soldaten der chinesischen Volksbefreiungsarmee samt Technik.

Zwischen Russland und China entwickelt sich ein höchst pragmatisches Miteinander in militärstrategischen Fragen. Diplomatisch formuliert, soll das gemeinsame Manöver die Fähigkeit der beiden Länder erhöhen, auf unterschiedliche Sicherheitsbedrohungen zu reagieren, damit regionaler Frieden und Stabilität gesichert werden.

Es wäre es falsch, die neue Qualität der Kooperation nur als eine Reaktion auf den verschärften außenpolitischen Kurs und die Sanktionspolitik des aktuellen US-Präsidenten Donald Trump und die Expansion der NATO zu sehen. Wohl aber hat man in Moskau wie in Peking die neue US- Sicherheitsstrategie genau gelesen. Darin werden beide Staaten in einem Atemzug beschuldigt, »Amerikas Macht, Einfluss und Interessen« infrage zu stellen, um »Amerikas Sicherheit und Wohlstand auszuhöhlen«.

In den vergangenen 15 Jahren hat es mindestens 30 Manöver gegeben, bei denen russische und chinesische Truppen zu Lande, zu Wasser und in der Luft gemeinsam übten. Nun strebt man eine neue Qualität an. Nicht von ungefähr führte die erste Reise des neuen chinesischen Verteidigungsministers Wei Fenghe im April nach Moskau. Das diene auch dazu, »den Amerikanern die engen Verbindungen zwischen den Streitkräften Chinas und Russlands zu verdeutlichen«, hieß es.

Doch um militärisch auf Dauer enger verflochten zu sein, müssen beide Länder über ihre politischen Schatten springen. In vielem bleibt die Konkurrenz deutlich sichtbar.

Dass 1969 bei einem Grenzkonflikt zwischen beiden Staaten am Ussuri auf beiden Seiten mindesten einhundert Soldaten umkamen, ist vergessen. Aktuell muss Russland aber seine weitgehend neutrale Haltung zum Problem der aus Pekinger Sicht abtrünnigen Region Taiwan aufgeben. Was umso leichter fällt, je mehr die USA Taiwan wieder als ihr Vorfeld entdecken. Gleiches gilt für den Streit zwischen China und Japan um Inseln im Südchinesischen Meer. Auch die russische Sicht auf das Problem Nordkorea muss auf chinesische Befindlichkeiten Rücksicht nehmen. Und Peking? Das ist noch relativ zurückhaltend, wenn es um Solidaritätsbeweise in Sachen Syrien oder Ukraine geht. Doch muss China schlucken, dass Russland die Expansionsbestrebungen Pekings im asiatischen Raum nicht befördern mag und Moskau seine relativ engen Beziehungen zu Staaten wie Indien und Vietnam erhalten und ausbauen will.

Im Rüstungsbereich gibt es seit Jahren eine enge Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern. China, das seit Jahrzehnten nicht immer sehr fair vom russischen Technologievorsprung profitierte, stützt mit seinem militärischen Importen die russische Wirtschaft - was Moskaus eigene Rüstungsproduktion rentabler und für die NATO in Europa bedrohlicher macht. Bisweilen erfordern russische Rüstungslieferungen jedoch ein ganz spezielles diplomatisches Geschick. China hatte bereits 2015 hochmoderne S- 400-Flugabwehr-Raketen für rund drei Milliarden Dollar bestellt. Einen Monat zuvor hatten Russlands Präsident Putin und der indische Premier Narendra Modi eine Vereinbarung über die Lieferung solcher Systeme unterzeichnet. Auch Vietnam hat sein Interesse bekundet. Solange es sich um Defensivwaffen handelt, lassen sich solche Spagate aushalten.

Der engere Schulterschluss mit dem wirtschaftlich immens potenten China ist aus Moskauer Sicht auch sinnvoll, um bei Pekings Drang in die Welt nicht total abgehängt zu werden. Während wirtschaftliche Schwierigkeiten dem russischen militärischen Modernisierungsprogramm Grenzen setzt, powert China. Mit seiner Marine erlangt das Land jene Weltgeltung, von der Russland nur träumen kann. Peking hat in den letzten vier Jahren so viel Tonnage an Schiffen und U-Booten gebaut, wie die britische Marine insgesamt besitzt.

Doch Streitkräfte brauchen zusätzlich vor allem eines: Training! Sonst werden sie von anderen allzu leicht als Papiertiger klassifiziert. Das aktuelle Großmanöver bietet eine hervorragende Gelegenheit, um aneinander zu wachsen.

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