Die letzten Monate eines Landes

Der Fernsehfilm »Kruso« erzählt von einem Zufluchtsort auf Hiddensee, einem Stück Freiheit in der DDR

  • Katharina Dockhorn
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Letzte macht das Licht aus. Dieses Gefühl beschlich 1989 viele DDR-Bürger angesichts der Flucht Tausender über Ungarn und Prag in den Westen. Sie hatten die Hoffnungen auf Reformen im Land aufgegeben, für die Tausende jeden Montag angsterfüllt demonstrierten. Sie fürchteten die Einschüchterungen des Machtapparats, der nichts von Gorbatschows Perestroika wissen und jeden Protest im Keim ersticken wollte. Eine bleierne Atmosphäre legte sich über das Land, die Lutz Seilers »Kruso« im Mikrokosmos Hiddensee beschreibt. Seinen Roman übersetzte der Leipziger Regisseur Thomas Stuber, 2012 Gewinner des Studentenoscars und für seine Langfilme »Herbert« und »In den Gängen« mit dem Deutschen Filmpreis geehrt bzw. nominiert, kongenial für den Bildschirm. Wobei er auf die Rahmenhandlung verzichtete und sich auf die Ereignisse des Wendejahres konzentriert.

Stuber bleibt dabei dem roten Faden in seinem Werk treu, er sucht seine Helden in der Welt der körperlichen Arbeit, die im deutschen Film sträflich vernachlässigt ist. »Zwei Drittel des Alltags verbringt der Mensch auf der Arbeit, er definiert sich darüber. Er findet darin seine Bestimmung, seine Würde, einen Grund zu leben«, begründet dies der Regisseur. »Daher fasziniert mich die tägliche Arbeit, die diese Menschen formt. Die Mechanik, das Zusammenspiel von Mensch und Maschine, fügt sich wunderbar in einen Filmrhythmus ein.«

Er führt in die Großküche des »Klausners«, eines FDGB-Heimes mit Restaurant. Der gescheiterte Germanistikstudent Ed (Jonathan Berlin) findet hier ein neues Auskommen. Den Ton gibt der geheimnisvolle Kruso (Albrecht Schuch) an. Der Sohn eines sowjetischen Generals lebt nach dem Motto, wenn du die Freiheit nicht in dir findest, findest du sie nirgendwo. Doch seine Kollegen suchen ihre Freiheit woanders. Die Reihen im »Klausner« lichten sich, Notpläne werden geschrieben, Doppelschichten geschoben. Im November ist endgültig Schluss, die Nische wird nicht länger gebraucht. »Die Freiheit, die man sich in den Nischen der DDR-Gesellschaft erschaffen hat, war nur in ihnen möglich. In dem Moment, wo die gesellschaftliche Freiheit versprochen wird, verlieren sie automatisch an Wert und verschwinden«, beschreibt Thomas Stuber diese Entwicklung.

Seiler und Stuber, der beim Mauerfall sieben Jahre alt war und kaum Erinnerungen an die DDR und die Wende hat, schufen mit »Kruso« eine metaphernreiche Allegorie um den Freiheitsbegriff und auf die Stimmung in den letzten Monaten der DDR. Dabei erinnern sie vor allem an jene, die von einem demokratisierten Land träumten, nach der Maueröffnung schnell ins Abseits gerieten und oft vergessen wurden. »Es ist noch immer schwer, sich zum Beispiel auf Christa Wolf oder Heiner Müller zu beziehen, die die Wende kritisch betrachtet haben«, stellt Stuber fest. »Aber warum sind die Menschen in Leipzig zunächst auf die Straße gegangen? Um Westen zu werden? Nein! Das wird kaum thematisiert, weil man leicht missverstanden wird.

Obwohl die DDR ein Unrechtsstaat war, haben Menschen wie Kruso weiter an die Utopie des Sozialismus als Alternative zum Kapitalismus geglaubt. Sie fehlt heute. Doch wer eine realpolitische Alternative sucht, wünscht sich nicht automatisch die DDR wieder.«

Wie stets in seinen Filmen setzt Stuber auf seine grandiosen Schauspieler, setzt Dialoge nur spärlich ein, weil er der Kraft seiner Filmbilder vertraut. Wobei er ein grandioses Schlussbild setzt, das das Ende einer Epoche symbolisiert und hier nicht verraten wird. Stuber gesteht, wegen dieses genialen Bildes habe er den Film gedreht.

ARD, 26. September, 20.15 Uhr

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