Der Outsider

Leben und Werk des bekannten unbekannten Autors Wolfgang Welt in einer Ausstellung in Düsseldorf

  • Stefanie Roenneke
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Februar 1998 freute sich Wolfgang Welt, als der »Spiegel« eine Rezension zu der Neuauflage seines Romans »Peggy Sue« brachte, mit dem er 1986 debütiert hatte. »Eine durchaus positive Kritik«, erinnerte er sich 2014 in »Fischsuppe«. Und es war schlichtweg der »Hammer« im wichtigsten Nachrichtenmagazin rezensiert zu werden, besonders für ihn, den ewigen »Spiegel-Leser«. Der anonyme Beitrag ließ das Fax des Verlegers kurzzeitig nicht mehr stillstehen.

Dennoch blieb Welt bis zu seinem Tod 2016 ein Geheimtipp, auch als er bei Heyne verlegt und 2006 endlich eine Textsammlung bei Suhrkamp veröffentlicht wurde. Zu früh wurde seine Karriere als Musikjournalist und Schriftsteller durch eine psychische Erkrankung ausgebremst: Ab Anfang der 80er Jahre hieß die Diagnose für ihn: schizoaffektive Psychose mit manisch-depressivem Einschlag. Er schrieb trotzdem weiter.

Diesem Wolfgang Welt aus Bochum, dem Buddy-Holly-Fan, Schallplattenverkäufer, Pop-Schreiber, Schriftsteller, Psychiatriepatienten und Nachtportier, widmet sich zwei Jahre nach seinem Tod eine Ausstellung im Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf. Zu den Beweggründen sagt Kurator und Nachlassverwalter Martin Willems: »Eine Ausstellung scheint uns prädestiniert dafür, auf einen Schriftsteller hinzuweisen, der in der deutschen Literatur zweifelsohne eine Sonderstellung innehat.«

Dieser Position ist nicht ausschließlich auf seine Erkrankung zurückzuführen. Neben seiner stilistischen Lässigkeit sind seine Romane von einer direkten Sprache und radikalen Offenheit geprägt, was diese von anderen autobiografischen Erzählformen unterscheidet: »Man war von Welts schonungsloser Offenheit irritiert. Der Roman erfuhr in intellektuellen Zirkeln kaum Beachtung und wenn, dann eher schlechte Resonanz«, so Willems über »Peggy Sue«, der mit folgendem, viel zitierten Satz beginnt: »Etwa zwei Jahre nach unserer ersten Begegnung machte mir Sabine am Telefon Aussicht auf einen Fick, allerdings nicht mit ihr selber, sondern mit ihrer jüngeren Schwester.«

Für Peter Handke machte ihn eine »grundandere Art von Geschichtsschreibung« bedeutsam, wie er im Vorwort zum 2012 erschienen Sammelband »Ich schreib mich verrückt« hervorhebt. Diese ist weder in fiktionalen Welten noch innerhalb historischer Ereignissen angesiedelt, sondern bezeichnet »das Leben jenseits der Historie und der Aktualitäten«. Es ist das Leben eines Mannes, der oft kein gutes Haar an sich ließ und sich trotzdem für den Größten halten konnte. Eine Szene-Größe zwischen »Spiegel«-Lektüre, Fußballverein, Suff und Konzerten, stets auf der Suche nach dem nächsten »Fick«, vielleicht mit Ute oder der coolen Susanne. Wahrscheinlich mit keiner, wieder allein. Abends dann, mit Bier oder Cola plus einer aufgerissenen Stange Benson & Hedges daneben, auf die Olympia SM2 hackend, die nächste Kritik oder den Essay »Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe« schreibend: alles, immer auf den letzten Drücker, 26 Seiten in neun Stunden, ein Roman in drei Wochen. Assoziation und Affekt statt Handlungsplanung. Die Grenze zwischen Literatur oder Leben verschwindet: »Das Lebens schrieb den Roman ohne Maschine. Ich brauchte nicht mehr tippen«, heißt es in »Doris hilft«.

Das Klacken der Schreibmaschine ist auch in Düsseldorf zu hören und begleitet die intim wirkende Zusammenstellung aus besonderen Stücken des Nachlasses, was unter anderem durch die zahlreichen handschriftlichen Briefe von und an Wolfgang Welt erreicht wird. Mit dabei sind natürlich Förderer Peter Handke und Hermann Lenz, sein literarisches Vorbild. Doch auch der abgegriffene Buddy-Holly-Fanclub-Ausweis, Bücher, alte Magazinausgaben, Platten oder Fotos hinterlassen den Eindruck, in einer gut sortierten Version von Welts Kemenate auf der Wilhelmshöhe gewesen zu sein. Im Mittelpunkt stets Musik und Literatur, als Impulsgeber, Katalysator - Rettung.

Die Phase als Musikjournalist gibt zudem einen Einblick in die vergessene Zeit der Stadtmagazine, die Ende der 70er aus der Erde sprossen. So auch in Bochum, wo Welt in der Kneipe Spektrum seinen ersten Text zum 20. Todestag von Buddy Holly für »Marabo« locker verabredete. »Ich war perplex. So einfach ging das also«, resümiert er in »Peggy Sue«.

Die Verlagsabsagen zum Erstling zeugen wiederum vom schwierigen Umgang mit dieser Form »des forciert Unglamourösen«, wie Literaturwissenschaftler Thomas Hecken seinen Stil bezeichnet. Wolfgang Welt war der Outsider-Literat, der für die deutsche Literatur das hätte sein können, was Daniel Johnston für die Outsider-Music ist. Schließlich war er der Schriftsteller, der zufällig Nachtwächter sein musste, der Ich-zentrierte Storys jenseits des Ruhrgebiets-Klischees lieferte und zum Schluss, am Bochumer Hauptbahnhof vom S-Bahn-Gleis kommend, nur von wenigen erkannt wurde.

»Aber ich schrieb mich verrückt«. Die Wolfgang-Welt-Ausstellung, bis 18. November, Heinrich-Heine-Institut, Bilker Str. 12, Düsseldorf.

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