Windrad frisst Märchenwald

In Hessen droht etlichen Waldflächen die Rodung - nicht etwa für Braunkohle wie im Hambacher Forst, sondern im Namen der Energiewende

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Umweltaktivisten versuchen derzeit in Nordrhein-Westfalen zu verhindern, dass für die Erweiterung des Braunkohletagebaus Hambach Bäume im angrenzenden Forst sterben müssen. Dies lasse sich nicht mit der eingeleiteten Energiewende vereinbaren, lautet ihr Hauptargument, auch wenn sich der Großkonzern auf eine Erlaubnis beruft, die immerhin noch 2016 die damalige rot-grüne Düsseldorfer Landesregierung erteilte.

Während diese Rodungspläne seitens RWE viel öffentliches Aufsehen erregen, legt man im benachbarten Hessen ebenfalls großflächig die Axt an den Wald - nur dass es dort im Namen der Energiewende geschieht und ein vergleichbares Medienecho ausbleibt. Von den 2300 bis 2800 Windkraftanlagen, die das von CDU und Grünen gestellte Wiesbadener Kabinett derzeit plant, sollen rund 80 Prozent in Wäldern stehen. In einem Faktenpapier spricht Schwarz-Grün von einer »verfügbaren Waldfläche von 550 000 bis 600 000 Hektar« für jene sogenannten Windvorrangflächen.

Gut 200 hessische Bürgerinitiativen wehren sich teils schon seit Jahren dagegen - so im Kaufunger Wald, im Naturpark Meissner, am Vogelsberg, in den Forsten um Niedernhausen, im Odenwald oder im Wolfhager Land. Ihnen geht es darum, die meist jahrhundertealten Wälder zu erhalten, die gerade in Nordhessen eine zusätzliche Symbolkraft besitzen: Hier sammelten die Gebrüder Grimm dereinst die Stoffe für ihre Märchen. Und tatsächlich glaubt man zuweilen noch heute, im Reinhardswald bei Kassel, der mit seinen teils 800 Jahre alten Baumbeständen wie verwunschen wirkt, jeden Moment Rotkäppchen oder Hänsel und Gretel im Unterholz auftauchen zu sehen.

Ein Großteil der Vorrangflächen für grünen Strom befindet sich auf den Höhenlagen hessischer Mittelgebirge wie dem Reinhardswald oder dem Kaufunger Wald. Mit Blick auf das ambitionierte Ziel, bereits 2019 ein Viertel des hessischen Stroms aus erneuerbaren Quellen zu schöpfen, sollen perspektivisch auf zwei Prozent der Landesfläche Windräder rotieren, was vielfach Rodungen erfordert. Dass die mitregierenden Grünen sich damit die eigene Klientel, namentlich Umwelt- und Artenschützer, zum Feind machen, nimmt man offenbar in Kauf. Grüne Politik, wenn sie erst an der Macht sei, habe eben nicht mehr so viel mit grüner Ethik zu tun, ärgert sich ein Ornithologe aus Kassel, der ungenannt bleiben will. Ihn stört vor allem, dass solche Windräder leicht zur Todesfalle für geschützte Greifvögel wie Rotmilan oder Uhu oder auch den seltenen Schwarzstorch werden. So kursiere unter Vogelschützen die »erschreckende Zahl von 700 Rotmilanen, die schon jetzt bundesweit Jahr für Jahr von Windrädern erschlagen werden«, erzählt er.

Unterstützung für die Windkraftgegner liefert die Deutsche Wildtier Stiftung. Deren Vorstand Prof. Dr. Fritz Vahrenholt hält es für »keine hessische Märchenstunde«, dass Windkraftanlagen auf Gebirgskämmen nicht nur die Rodung von Bäumen bedeute, sondern dass damit auch »intakte Ökosysteme zerschnitten sowie Böden versiegelt und Fundamente errichtet werden, um Windfabriken von der Höhe des Kölner Doms in den Wald zu stellen«. Gerade für das Wild sei der Verlust gewachsener Wälder unersetzbar, so der frühere Hamburger Umweltsenator.

Waldschützer wie in der Bürgerinitiative Gegenwind-Vogelsberg, zu der sich inzwischen 16 örtliche Aktionsgruppen zusammentaten, wollen dabei nicht die Energiewende verhindern, sondern mit mehr Augenmaß auf eine Balance »zwischen dem Schutz von Mensch und Natur sowie einer sicheren und bezahlbaren Stromversorgung« hinwirken. Doch gerade das namensgebende Mittelgebirge Vogelsberg, das bereits vor 62 Jahren zum Naturpark erklärt wurde, weise inzwischen mit einem Viertel aller hessischen Windkraftanlagen die größte Turbinendichte des Landes auf, monieren sie. Und zu den bereits bestehenden gut 220 Windrädern sollen nun weitere 40 kommen. Sie befänden sich bereits in der Genehmigungs- und Planungsphase, so André Heil, der Sprecher von Gegenwind-Vogelsberg.

Gegen »Mythen der Windenergie« sowie gegen technische Probleme, die diese für Privatinvestoren immer lukrativeren Windtürme begleiten, wehrt sich auch die Bürgerinitiative Kaufunger Wald. Sie befürchtet eine »Umwandlung des Waldes in einen Industriepark - ausgerechnet am Hirschberg, wo vor wenigen Jahren noch das Habitat des Schwarzstorchs gerühmt wurde«, so der Aktivist Detlef Ahlborn. Er sieht zudem ein Manko der schwarz-grünen Windkraftstrategie darin, dass sich der gewonnene Strom nach wie vor nicht effektiv speichern lasse.

Auch die Bürgerinitiative Pro Reinhardswald kämpft dagegen, dass »das größte zusammenhängende Waldgebiet Hessens zerstört und zum Industriestandort degradiert« wird. Sie wollten, so ihr Sprecher Rüdiger Menke, »das Märchenland vor der Entzauberung und Banalisierung bewahren«.

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