Kiew setzt auf Ukrainisierung

Parlament verabschiedet umstrittenes Sprachengesetz / Gebrauch des Russischen wird eingeschränkt

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war ein dramatischer Tag, den die Abgeordneten der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament, verbringen mussten: Auf der Agenda stand die Abstimmung über die Verlängerung des Sonderstatusgesetzes für die zum Teil von prorussischen Separatisten besetzte Donbass-Region. Dieses Gesetz soll gemäß dem Minsker Abkommen ermöglichen, nach erfolgreich durchgeführten Lokalwahlen dem Donbass vorübergehend einen Sonderstatus zu gewähren. Obwohl die Wahlen laut Gesetz nur nach ukrainischem Recht ausgetragen werden dürfen, sind die mögliche Sonderstatus-Erklärung sowie das Minsker Abkommen generell in der Ukraine unbeliebt.

Weil die EU- und US-Sanktionen gegen Russland aber dennoch an das Sonderstatusgesetz gebunden sind, konnte Kiew die Verlängerung trotz öffentlicher Kritik kaum verweigern. Doch es ist wohl kein Zufall, dass das ukrainische Parlament am selben Tag über mehrere Initiativen abstimmte, die sich vor allem an die patriotische Wählerschaft wenden. So hat das Parlament unter anderem den umstrittenen Slogan »Ruhm der Ukraine - den Helden Ruhm« in der zweiten Lesung endgültig als offizielle Militärbegrüßung verabschiedet.

Die Begrüßungsformel wird vor allem mit der höchst umstrittenen Organisation Ukrainischer Nationalisten assoziiert, die während des Überfalls auf die Sowjetunion zwischenzeitlich mit der Wehrmacht kollaborierte. Außerdem rief die Rada zu Sanktionen gegen die regierungskritischen Fernsehsender Kanal 112 und NewsOne auf, weil diese angeblich im Interesse Moskaus arbeiten.

Für die größten Diskussionen sorgte das vorerst in der ersten Lesung verabschiedete neue Sprachgesetz. Es schreibt eine noch stärkere Ukrainisierung des de facto zweisprachigen Landes vor, in dem offiziell etwa 30 Prozent der Bevölkerung Russisch als Muttersprache angeben. Demnach dürfen zukünftig alle Schilder und Werbebanner nur auf Ukrainisch sein, Ärzte und Richter müssen ihre Papierarbeit nur in der Staatssprache verrichten.

Die Printmedien werden dazu verpflichtet, eine ukrainischsprachige Ausgabe herauszugeben, deren Auflage mindestens so groß ist wie in der Minderheitensprache - und auch Onlinemedien müssen eine ukrainische Version haben. Darüber hinaus sieht das Gesetz administrative Strafen vor, wenn zum Beispiel ein Rada-Abgeordneter im Parlament auf Russisch statt Ukrainisch spricht. Die öffentliche Beleidigung der Staatssprache gilt sogar als kriminelles Delikt. Entschärft wurde allerdings die ursprüngliche Norm des Gesetzes. Diese schrieb die Einrichtung sogenannter Sprachinspektoren vor, deren Aufgabe in der korrekten Anwendung des Ukrainischen gelegen hätte. Stattdessen soll es lediglich einen Beauftragten für den Schutz der Staatssprache geben.

Die Reaktionen auf die Verabschiedung des Gesetzes fielen gemischt aus. »Diese Abstimmung war ganz offensichtlich ein Ablenkungsmanöver, um die öffentliche Aufmerksamkeit von der Verlängerung des Sonderstatusgesetzes abzuwenden«, sagt der Kiewer Politologe Wolodymyr Fesenko. »Es ist ein gefährliches Gesetz. Die Autoren stellen sich als Verteidiger der ukrainischen Souveränität und Staatlichkeit dar. Gleichwohl kann das Gesetz Konflikte hervorrufen, die die staatliche Souveränität gefährden könnten.«

»Es ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung«, betont dagegen Laryssa Nizow, Schriftstellerin und bekannte Sprachaktivistin. Das Gesetz sei jedoch »zu tolerant« gegenüber nationalen Minderheiten, die dem Erlernen der ukrainischen Sprache mehr Zeit widmen sollten. Der zuständige Parlamentsausschuss soll bis zur zweiten und finalen Lesung noch eigene Änderungsvorschläge vorbereiten. Auch Präsident Petro Poroschenko äußerte sich zurückhaltend: »Ich begrüße die erfolgreiche Abstimmung in erster Lesung. Und ich erwarte, dass zur zweiten Lesung ein balancierter Entwurf vorbereitet wird, der den europäischen Standards in Sachen Schutz der nationalen Minderheiten entsprechen wird.« Das Gesetz solle der Einigung des Landes und nicht deren Spaltung dienen. Angesichts der Diskussion ist das jedoch kaum möglich gewesen.

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