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  • GroKo nach der Bayernwahl

Hängepartie über zwei Wochen

Nach der Bayernwahl ist die Große Koalition angeschlagen, will sich aber bis zur Abstimmung in Hessen hangeln

  • Gabriele Oertel
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer geglaubt hatte, dass noch am Wahlabend, spätestens aber am Montagmorgen die Messer gewetzt werden, sah sich getäuscht. Zwar ließ fast keiner der führenden Politiker den monatelangen heftigen Streit in der Großen Koalition um Flüchtlingspolitik oder den früheren Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, den unterirdischen Stil und die hässlich zur Schau getragenen Egoismen zwischen den Vertretern der Regierungsparteien in Berlin unerwähnt, um den Absturz von CSU und SPD beim Urnengang in Bayern zu erklären. Doch zunächst scheint das Großreinemachen vertagt.

Selbst in der gerupften CSU, in der es zwar an der Basis rumpelt und zwischen Staatskanzlei und CSU-Zentrale zeitweise Sendepause herrschte, ist offenbar am Wahlabend Kreide gereicht worden. Es ist, als hätten die sogenannten Alphatiere in der CSU, Markus Söder und Horst Seehofer, einen Stillhaltepakt geschlossen, um die Regierungsbildung in München schnell über die Bühne zu ziehen. Sie üben dafür auch ein klein wenig Selbstverleugnung. Plötzlich redet Dauerzündler Seehofer davon, die Große Koalition in Berlin stabilisieren zu wollen, Söder macht sich gar Sorgen um die SPD.

Auch in der gar nicht mehr so großen Schwesterpartei CDU und bei der immer kleiner werdenden SPD sollen offenbar bis zur Wahl in Hessen am 28. Oktober maximale Geräuschlosigkeit oberste Priorität haben. Sowohl CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer als auch SPD-Chefin Andrea Nahles riefen die Ihren denn auch fast wortgleich zu Geschlossenheit auf, sprachen unisono vom notwendigen Blick nach vorn - beide eifrig bedacht, bloß nicht über inhaltliche wie personelle Konsequenzen zu reden.

Noch Stunden vor der Wahl hatte Nahles, die als Parteichefin ihre erste Wahl gleich richtig erwischt hat, in Richtung Seehofer heftigst ausgeteilt: »Die gesamte Regierung in Berlin leidet unter der CSU, und zwar massiv«, sagte sie. Am Montag jedoch wollte sie weder von »roten Linien« in der gemeinsamen Regierungsarbeit noch etwa von Seehofers Abgang etwas wissen, weil das Personalentscheidungen seien, die in der CSU getroffen werden müssten.

Ganz anders, wenn auch erwartbar - weil vor und nach der Bayernwahl beständig - äußerten sich Juso-Chef Kevin Kühnert und Parteivize Ralf Stegner. Sie stellen beide den Fortbestand der Großen Koalition in Frage. »Wer glaubt, nach diesen Landtagswahlen zum sogenannten Tagesgeschäft übergehen zu können, begeht einen folgenschweren Fehler«, depeschierte Kühnert warnend an die Parteiführung.

Doch offensichtlich wollen Nahles und Genossen auch diesen Fehler unbedingt begehen. Selbst wenn noch längst nicht als ausgemacht gelten kann, ob sie damit bei ihren enttäuschten Basismitgliedern nach der bayerischen Talfahrt in die Einstelligkeit durchkommen werden. Oder der Druck zunimmt, die Regierungssessel in der Hauptstadt endlich zu räumen, um die notwendige Erneuerung der SPD zu ermöglichen. Zwei Wochen bis zur Wahl in Hessen können jedenfalls lang werden.

Diese Zeit wollen indes einige führende CDU-Politiker nicht nutzlos verstreichen lassen. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und sein Amtskollege in Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, wie auch EU-Kommissar Günther Oettinger sprachen sich am Montag eiligst für die erneute Kandidatur von Kanzlerin Angela Merkel für den CDU-Vorsitz aus. Sie möchten damit möglichen Rückzugsforderungen aus den eigenen Reihen vorbeugen - und freilich auch der Gefahr von Neuwahlen, wenn sich in Hessen zeigen sollte, dass die Leute generell von der Union und nicht nur von deren bayerischem Teil die Nase ziemlich voll haben. Und dafür spricht nach bisherigen Umfragen Einiges.

Ob die treuen Knappen der Kanzlerin erfolgreich sein werden, wird sich zeigen. Dass es in der CDU auch andere Stimmen gibt, die sich noch bedeckt halten, ist seit dem Putsch gegen Unions-Fraktionschef Volker Kauder ein offenes Geheimnis. Nahezu unbeachtet in der Öffentlichkeit blieb bislang eine Wortmeldung von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, der das Innenleben seiner CDU bestens kennt. Der sah am Wochenende im Südwestrundfunk angesichts vieler unionsregierter Jahre nicht nur »Ermüdungseffekte« und die Rolle der Kanzlerin »nicht mehr so unbestritten«, sondern prognostizierte, dass das Wahlergebnis in Bayern erhebliche Veränderungen mit sich bringt - und in den Parteien Diskussionen und Erschütterungen auslösen werde.

Auch wenn dieses Szenario nicht sofort nach dem Wahltag eingetreten ist, kann der Mann, der seit Jahren für einen vorzeitigen Merkelabgang als möglicher Übergangskanzler gehandelt wird, durchaus noch Recht behalten. Dann eben in zwei Wochen nach der Hessenwahl.

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