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Wenn Sinnlichkeit auf Brutalität prallt

Die Galerie Poll begeht ihr 50-jähriges Jubiläum mit einer Präsentation des Malers Peter Sorge

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.

»Gute Besserung für Andy« heißt die Farblithografie, die Peter Sorge 1968 nach dem Attentat einer Frauenrechtlerin auf den amerikanischen Popkünstler Andy Warhol schuf. Eine riesige Rasierklinge schwebt wie das Fallbeil einer Guillotine bedrohlich über Warhols Kopf mit herausgestreckter Zunge. Diese Arbeit bildete die Vorlage für das Plakat der Eröffnungsausstellung der Galerie Eva und Lothar C. Poll vor 50 Jahren in Berlin-Charlottenburg, die dem Maler, Zeichner und Grafiker Peter Sorge gewidmet war.

Die Galerie konzentrierte sich zunächst auf die kritischen Realisten der aufgelösten Künstlerselbsthilfegalerie Großgörschen 35, eine der ersten Produzentengalerien, und erweiterte dann ihr Programm auf die europäische figurative Kunst. Seit 2015 hat die jetzt von Nana Poll und ihrer Mutter Eva Poll geleitete Galerie ihren Sitz in Berlin-Mitte. Im gleichen Gebäude befindet sich auch die 1986 gegründete Kunststiftung Poll. Mit einem zusätzlichen Schaulager bietet der gemeinsame Standort etwa 350 Quadratmeter Ausstellungsfläche.

In den 50 Jahren ihres Bestehens hat die Galerie Poll Wesentliches für die realistische und kritische Kunst unserer Zeit geleistet. Sie hat die realistische Bildhauerei und die Raumgestaltung mit einbezogen. Die Galerie ist ein fester Bestandteil der Berliner Kunstszene. Bei der Förderung, Vermittlung und Rezeption einzelner Künstler und Künstlerinnen hat sie ein wichtiges Kapitel der neueren Kunstgeschichte mitgeschrieben, gleichfalls in Personal- und Gruppenausstellungen, bei der Herausgabe von Katalogen, Werkverzeichnissen, Originalgrafik in Mappenwerken, bei der Teilnahme an großen internationalen Kunstmessen und nicht zuletzt beim Aufbau einer eigenen Sammlung. Sie hat zudem das Bewusstsein für die ostdeutsche und osteuropäische Kunst geschärft - und das kann eine besondere Perspektive für die Kunstszene in der Zukunft sein.

Anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens zeigt die Galerie einen Querschnitt durch das Werk ihres Hauskünstlers, des im Jahr 2000 verstorbenen Peter Sorge. Sorge hatte in den 1960er Jahren damit begonnen, Zeitschriftenfotos oder ihre Fragmente abzuzeichnen und sie in Detailtreue zu porträtieren: Teile eines menschlichen Körpers, das Muskelgebirge eines Athleten, einen Hubschrauber, Soldatenstiefel, den Schlagstock eines Polizisten und anderes. Die gezielt ausgewählten Bildausschnitte wurden nebeneinander oder übereinander angeordnet und so in einen neuen Zusammenhang gestellt. Der Künstler rahmte seine Bildfolgen mit Rechtecken, Schriften und Farbbalken, die als eine Art Anführungszeichen für die Bildzitate fungieren. Kalte Fotoobjektivität und ironische Montagetechnik kommen hier zusammen.

Mit den Mitteln der Überpointierung und grotesken Verzerrung, der Technik der ineinander verschobenen Bilder, den Blow-up-Ausschnitten (der optischen Vergrößerung von einem Format auf ein anderes), der plakativen Flächigkeit und raffinierten Perspektivenüberdehnung legte er den Finger der Kritik auf Manipulation, Korruption, Ausbeutung und Terror aller Art. Der Mensch und die gegen den Menschen eingesetzte Technik, Verletzliches und Gewalt, Sinnlichkeit und Brutalität prallen aufeinander. Dem lächelnden Pin-up-Klischee von Pop und Fotorealismus setzte er die Alternativrealität von Folter und Gewalt aus Vietnam und Südamerika entgegen. Vieles blieb Skizze oder wurde nur in Umrissen ausgeführt. Aber schon mit der Auswahl seiner Bildmotive - und dann mit ihrer Konfrontation - hat er Stellung bezogen, Fragen aufgeworfen, die er dann mit Abstand vom Thema und von sich selbst akkurat ausführte. So entstanden - wie der Künstler selbst einmal erklärte - einerseits Bilderrätsel, dann wieder Paradoxien oder Antithesen, aber auch einfache Bildspiele mit Bildern unterschiedlicher Bedeutung, aus denen der Betrachter seine Schlüsse ziehen soll.

Zusammen mit seiner Frau Maina-Miriam Munsky, die mit ihren kühlen Bildern von Kliniken und Operationssälen ebenso illusionslose Metaphern für eine kranke Welt fand, hat er das Bild »Die Welt ist voll Licht« (1979) geschaffen. Es zeigt ihren Sohn Daniel vor dem Fenster, in eine triste Betonlandschaft schauend, über der sich in einer zweiten Bildebene visionäre Bilder des Schreckens, der Gewalt, des Terrors, der Umweltzerstörung verdichten. Welch eine Zukunft wird den Jungen erwarten? Der magische Realismus, wie er hier praktiziert wird, sollte für sich bestehen können. Sorge vertritt Positionen einer politisierten Kunst, die typisch für die 70er und 80er Jahre in Berlin war, die aber auch heute ihre Aktualität nicht verloren haben.

»Does sex cause cancer? Ein Querschnitt durch das Werk des Berliner Realisten Peter Sorge (1937 - 2000)«, bis 3. November, Galerie Poll, Gipsstraße 3, Mitte.

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