Sparsam sind die Verkleidungen der Shen Te

Vielleicht die schönste Figur, die Brecht geschaffen hat: »Der gute Mensch von Sezuan« am Hans-Otto-Theater in Potsdam

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Brecht, wer ist das? Ist er schon vergessen? War das nicht einer, so genialisch, dass ihn nichts anderes als die Lektüre der Bibel und die Ideen von Marx und Lenin treffen konnte? Der in unregelmäßigen Versen die schändliche bürgerliche Regelmäßigkeit unterlief? Der jene Lieder eben nicht sang, welche die Ordner der Welt erwarteten? Ja, das ist er, der Brecht. Und so klingt ganz nach ihm auch »Der gute Mensch von Sezuan«. Das Stück entstand unter Mitarbeit von Ruth Berlau und Margarete Steffin um 1940, bevor der Dichter in die USA exilierte.

Das Hans-Otto-Theater Potsdam hat es nun in der Regie von Malte Kreutzfeldt aufgeführt; gezeigt wird es auch im Theater Brandenburg. Eine sehenswerte Version, spannend über weite Strecken, besetzt mit Akteuren erheblichen Könnens, ein jeder begeistert bei der Sache.

Shen Te ist die personelle Achse des Stücks. Mit Hilfe dreier Götter will sie keine Hure mehr und auf redliche Weise den Leuten nützlich sein. Was sie von einem Verhängnis ins nächste treibt. Den drei Göttern, dürr und komisch, auf der Suche nach »guten Menschen«, um ihre Gebote zu rechtfertigen, gewährt sie Wohnstatt. Die Götter geben viel Geld. Sie mietet sich einen Tabakladen, und schon ziehen Neider und Abzocker um sie herum. Shen Te will gut sein, aber woher die Güte nehmen, da ihr die Menschen in Sezuan nicht gewogen sind oder nur zum Schein? Um aber das Unrecht zu verstehen und ihrer selbst inne zu werden, muss sie sich spalten, zum einen in die gute Frau und zum anderen in einen Geschäftsmann: sie maskiert sich als ihr eigener Vetter.

Spektakulär ist diese Figur, vielleicht die schönste, die Brecht geformt hat. Wer die Shen Te der Ursula Karusseit, als sie Volksbühnenschauspielerin war, gesehen hat, der weiß, wie viel nötig ist, die Rolle groß zu gestalten. Malte Kreutzfeldt konnte sich glücklich schätzen. Mit Alina Wollf betrat eine außerordentliche Shen Te die Bühne. Klar ihre Gesten, eindringlich die Sätze aus ihrem Munde: »Wenn in einer Stadt Unrecht geschieht, muss ein Aufruhr sein. Und wo kein Aufruhr ist, da ist es besser, dass die Stadt untergeht.«

Sparsam sind die Verkleidungen der Shen Te. Sie hängt sich ein Bärtchen an oder malt eins unter die Nase, wirft sich Perücke und Pelz über, und schon ist sie ihr ungeliebter Vetter. Der wollte ihr an die Existenz, bevor er Sezuan verließ. Die Wechsel geschehen in klaren Metren. Shen Tes Wesen als gottergebene Gütige ist sanft, ihre Schritte vorsichtig. Aber je mehr sie begreift, desto mehr attackiert auch die Götter, indem sie ihnen Untätigkeit vorwirft: »Um zu einem Mittagessen zu kommen, braucht es Härte, mit der sonst Reiche gegründet werden.« Die doppelte Shen Te dekliniert gleichsam die destruktiven Kräfte durch, die ein Gutsein unmöglich machen. Die gute Frau will den Flieger zum Manne haben, aber sie wird enttäuscht. Der so frauenfreundliche wie aufbrausende Guido Lambrecht in der Rolle will letztlich nur ihr Geld.

Malte Kreutzfeld schuf auch die Bühne. Sie ist spartanisch wie bei Brecht. Hinten gibt es eine Empore, worauf eine vierköpfige Band etwas bemüht Barmusik spielt, was gar nicht passt (musikalische Leitung Martin Klingeberg). Unten sind zwei flache Bassins mit Wasser, zentraler Tummelplatz der streitenden, sich nichts schenkenden Parteiungen. Alle müssen da hindurch, das Elend wie der Reichtum. Einige bringen irgendwelches Gerät mit. Der Schreiner (Andreas Spaniol) schwingt seine Bretter vor lauter Verzweiflung, da er das versprochenes Entgelt nicht bekam, der Barbier (Jörg Dathe) sein Messer, der Polizist (Hannes Schumacher) seinen Helm, das Kind seine Unschuld. Die Hausbesitzerin (Marie-Therése Fischer) trägt vornehmerweise Gummistiefel, der Vetter, der Flieger und weitere übermäßige Badelatschen.

Alina Wolff kann auch wunderbar singen. Paul Dessaus »Sezuan« - Musik, sie erscheint rudimentär, hat mehrere Songs. Singt sie »Das Lied von der Wehrlosigkeit der Götter und Guten«, fragt sie verzweifelt: »Warum haben die Götter nicht Tanks und Kanonen/ Die Bösen zu fällen, die Guten zu schonen?« Da schlottern die Götter, bangend um ihren guten Menschen, nicht mehr, sondern halten wehrhaft dagegen. Wichtiger noch »Die Ballade vom Wasserrad« aus Brechts »Die Rundköpfe und die Spitzköpfe«. Der Song, den Hanns Eisler komponierte, fand glücklich den Weg in die Inszenierung. Shen Te singt die ersten Strophen, dann fällt sukzessive jeder der Spieler ein, um endlich den Text von den Ordnern der Welt, unter denen die kleinen Leute, die sie nähren, zu leiden haben, chorisch herauszuschreien. Eine große Szene.

Am Ende enthüllt sich Shen Te widerwillig vor den Göttern. Die ihrerseits verschwinden nicht, bevor sie ihr in all ihren Fragen von gerecht und ungerecht widersprochen haben. Der Epilog, von Wang gesprochen, ergeht lakonisch ans Publikum. Es solle sich selbst den Schluss suchen.

Nächste Vorstellungen: 21.10., 6.11., 10.11. 17.11. Hans-Otto Theater, Schiffbauergasse 11. Potsdam

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