Reichstagsbrand auf Indonesisch

Felix K. Nesi entlarvt die systematische Gewalt in und gegen Timor im Stil von Quentin Tarantino: »Die Leute von Oetimu« ist ein exzellenter Roman

  • André Dahlmeyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Unterdrückung als politische Psychose: 1965 ließ der Diktator Suharto massenweise Menschen verhaften, die er zu Kommunisten erklärte und umbrachte. Hier eine sogenannte Umerziehung durch das Militär
Unterdrückung als politische Psychose: 1965 ließ der Diktator Suharto massenweise Menschen verhaften, die er zu Kommunisten erklärte und umbrachte. Hier eine sogenannte Umerziehung durch das Militär

Felix K. Nesi ist Mitte 30, ein noch junger Autor. In der Edition Nautilus erschien kürzlich sein erstes Buch auf Deutsch, der Roman »Die Leute von Oetimu. Eine garantiert wahre Geschichte aus Timor«. Es gibt zu wenig deutsche Verlage, die sich noch etwas trauen. Diese Veröffentlichung ist gewagt, doch das Buch, inklusive der tollen Umschlaggestaltung von Maja Bechert, ist exzellent. Es fällt ins Auge und das Auge, es fühlt sich wohl.

Nesi wurde in Nesam-Insana geboren, einem Dorf im Westen der Insel Timor, Teil der südlichsten Provinz Indonesiens, East Nusa-Tenggara. Er studierte Psychologie und forschte zum niederländischen Sklavenhandel in Timor, der neben Sandelholz am erträglichsten war. 2016 erschien sein Storyband »Usaha Membunuh Sepi«, 2017 gründete er in West-Timor einen Straßenbuchladen, eine Bibliothek sowie das Literaturfestival »Kencan Buku Fesek« – ein echter Kulturarbeiter.

In Indonesien gewann er mit »Die Leute von Oetimu« verschiedene Preise. 2022 war Felix Nesi Writer in Residence an der Universität von Iowa. Man muss eigentlich nicht viel pokern, um so einen Mann in Deutschland auf den Markt zu bringen, auch wenn es ein Markt bleibt, an dem zuweilen vor allem Glasvitrinenhersteller zu profitieren scheinen.

Felix Nevi entlarvt die systematische Gewalt in und gegen Timor und deren soziale Folgen. Er lässt die Verantwortlichen als absurd Handelnde sich selbst der Lächerlichkeit preisgeben. Der Plot spielt zwischen 1974 und 1998, aber eigentlich nur am 12. Juli 1998, dem Tag des Fußball-WM-Endspiels zwischen Frankreich und Brasilien. Nesi erzählt eine kreisrunde Geschichte, Flashbacks und Flashforwards inbegriffen, alles im ethnografischen, politischen und historischen Kontext.

Im fiktiven Örtchen Oetimu hat der junge Sergeant Ipi, der als einziger Dorfpolizist in der Regel wie ein Gesetzloser agiert, die Männer des Dorfs in seine Wache eingeladen, um am einzigen TV-Gerät weit und breit das WM-Finale zu schauen. Der eigentliche Anlass aber ist seine bevorstehende Vermählung mit der zugezogenen Schönheit Silvy. Es wird dick aufgetragen, vor allem mit Essen.

Und dann stürmt plötzlich ein Killerkommando das Anwesen von Martin Kabiti, der eben noch Teil des Fußball-Events war, der aber als proindonesischer Offizier verantwortlich für Massaker an der Bevölkerung Osttimors war. Fernsehgucken war noch nie sicher: In der Folge werden die Geschichten der in diesen Vorfall involvierten Personen rekapituliert, in zum Teil wilden Blenden: Zapping Timor-TV, an der Fernbedienung: Felix Nevi. Er nimmt uns mit auf die Reise, schickt uns nach Lissabon, ins Jahr 1974, wo die Dekolonialisierung Timors mit der Nelkenrevolution begann. Jetzt werden sie alle in die Geschichte geworfen: Niederländer, Portugiesen, Japaner und Indonesier, alle wollten den Timoresen an den Kragen – und Rekordprofite machen.

Ipis Mutter Laura, deren Eltern bis 1975 Teil der portugiesischen Kolonialverwaltung in Osttimor waren, wird als junge Frau im Bürgerkrieg eingekerkert, gefoltert und vergewaltigt. Sie entkommt und gelangt schließlich nach einer Odyssee halb verhungert nach Oetimu, wo sie von einem von den Dorfbewohnern als Helden verehrten Mann aufgenommen wird, der während der japanischen Besatzung ein Arbeitslager niedergebrannt haben soll.

General Suhartos Putsch von 1965 ist ebenfalls Thema, und die anschließenden Säuberungen an politischen Gegnern und was dafür ausgegeben wurde: Reichstagsbrand auf Indonesisch. Bis zu einer Million echte oder vermeintliche Kommunisten respektive regierungskritische Studierende wurden ermordet, nicht zu vergessen der Genozid an den Chinesen Indonesiens.

Nesi hält sich generell mit Zahlen zurück, Zusammenhänge werden oft nur angedeutet. Es ist ein Roman, kein Sachbuch. 1975 marschiert Suharto in Osttimor ein. Bei den anschließenden Massakern wurde mehr als ein Drittel der Bevölkerung eliminiert. Mit Helmut Kohl, der Indonesien viermal während seiner Amtszeit besuchte, verband Suharto eine lebenslange Freundschaft, für die bundesdeutsche Rüstungsindustrie war Indonesien die reinste Goldquelle.

Nesi schleift uns von Massaker zu Massaker. Auffällig ist, dass alle halbwegs sympathischen Personen, sagen wir, eine beschränkte Lebenserwartung haben. Zwar malt Nesi das Grauen nicht so farbenprächtig aus, wie das Isaac Babel oder Ernst Jünger mit Vorliebe zu tun pflegten, aber seinen Quentin Tarantino hat er offenbar gesehen und verstanden. Der Kunstgriff Nesis ist, all den Horror mit einer Art von Humor zu ummänteln, die mitunter sogar witzig ist. Logisch, in den schlimmsten Diktaturen wurde immer auch gelacht.

Bei Nesi wird das Patriarchiat als unbelehrbar und also topgefährlich beschrieben. Die Hegemonie Javas in der Geschichtsschreibung ist ihm ein Dorn: »Leute in Jakarta schreiben Geschichtsbücher und schicken sie in die Provinz, und manchmal findet man Ost-Nusa-Tenggara nicht einmal darin. Die Kinder hier wachsen auf und lernen Geschichte, ohne dass ihre Geschichte darin vorkommt.«

Felix K. Nesi: Die Leute von Oetimu. Eine garantiert wahre Geschichte aus Timor. Aus dem Indonesischen und mit einem Nachwort von Sabine Müller, Nautilus, 312 S., geb., 25 €.

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