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Die Zeichen stehen auf Sturm

Bosnische Kroaten: Wahlergebnisse sind illegitim

  • Elke Windisch, Dubrovnik
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Bürgermeister von gut einem Dutzend Städten und Gemeinden mit kroatischer Bevölkerungsmehrheit haben das Votum am vergangenen Sonntag in einem offenen Brief für ungültig und Željko Komšić zur persona non grata erklärt - jenen Mann, der die Interessen der Kroaten im dreiköpfigen Staatspräsidium vertreten soll. Das Staatspräsidium ist die kollektive Führung des Westbalkanstaates. Muslimische Bosniaken, orthodoxe Serben und katholische Kroaten führen dort alternierend für jeweils acht Monaten den Vorsitz.

Miro Kraljević. der Bürgermeister von Široki Brijeg, brachte auf den Punkt, was viele denken: Die bosnischen Kroaten seien bei den Wahlen erneut betrogen worden. Gemeint ist das Verhältniswahlrecht, das die Kroaten - mit nur 17 Prozent kleinstes Staatsvolk - benachteiligt. Das Dayton-Abkommen, das 1995 den Bosnienkrieg beendete, sperrte Kroaten und Bosniaken in der Föderation - einem der beiden Teilstaaten von Bosnien/Herzegowina - zusammen. Die Wahlkreise sind nicht nach ethnischen, sondern nach territorialen Kriterien geschnitten. Die Bosniaken - knapp 50 Prozent der Bevölkerung im Gesamtstaat, in der Föderation sogar 70 Prozent - bestimmen daher nicht nur den eigenen Vertreter im Staatspräsidium. Sie haben auch entscheidenden Einfluss auf die Wahl des kroatischen Mitglieds.

Der neu gewählte Kroate Komšić, so heißt es in dem offenen Brief der Bürgermeister, sei daher faktisch der zweite Mann der Bosniaken im Staatspräsidium und werde dort in erster Linie deren Interessen vertreten. Durch erste Statements des »Neuen« fühlen sich die Kritiker in ihren Ängsten bestätigt. So will Komšić Zagreb von einem internationalen Schiedsgericht den Bau einer mit EU-Mitteln finanzierten Brücke über die Adria untersagen lassen, die die eigentliche Republik Kroatien mit Süddalmatien verbinden soll. Beide Landesteile trennt ein 19 km breiter bosnischer Korridor. Das von Bosniaken dominierte Parlament in Sarajevo läuft Sturm gegen den Brückenbau; er behindere Bosniens Zugang zum offenen Meer, auch seien die Seegrenzen umstritten.

Durch die Drohung mit dem Kadi machte sich Komšić, 54 Jahre und Vormann der mitte-links orientierten Demokratska Fronta, auch in Zagreb noch unbeliebter als er es ohnehin schon ist. Denn dort regiert die nationalkonservative Kroatische Demokratische Union (HDZ). Bisher saß der Vorsitzende des bosnischen HDZ-Ablegers im Staatspräsidium: Dragan Čović. Er, davon sind die bosnischen Kroaten überzeugt, hätte ein weiteres Mandat bekommen, wäre der Interessenvertreter der Kroaten allein von Kroaten gewählt worden.

Čović hatte sich lange vor Wahlkampfbeginn für Änderungen von Wahl- und Grundgesetz ins Zeug gelegt. Das Ziel: ein dritter, kroatischer Teilstaat in Bosnien. Der Plan scheiterte am Widerstand der EU und an den Realitäten. Anders als die national homogene Republika Srpska, der zweite bosnische Teilstaat, ist die Föderation ein ethnischer Flickenteppich, ohne klare Grenzen zwischen den Siedlungsgebieten von Kroaten und Muslimen.

Die Wahlen zum Oberhaus, wo die kroatischen Abgeordneten ihr Mandat ebenfalls den Stimmen der Bosniaken verdanken, halten die Bürgermeister ebenfalls für illegitim. Auch das Verfassungsgericht war lange vor der Abstimmung Beschwerden der Kroaten gefolgt, hatte das Wahlgesetz für grundgesetzwidrig erklärt und gewarnt: Die Abstimmungsergebnisse seien in der Praxis nicht umsetzbar. Kritische Beobachter haben massive Zweifel, ob sich die neu gewählten Institutionen überhaupt konstituieren werden. Und wenn doch, so Wahlforscher Adnan Huskić, hätten Strukturen mit umstrittener Legitimität kein Mandat für die längst überfälligen Reformen. Von denen aber hängt der Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der EU ab.

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