Feministische Hexen

Die NDR-Debütfilmreihe Nordlichter konzentriert sich aufs Gruseln

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Manchmal muss man weit reisen, um die Nachbarschaft kennenzulernen. Damian Schipporeit zum Beispiel ist erst bei einem Besuch in Schanghai auf das chinesische Viertel seiner Wahlheimat Hamburg gestoßen und hellhörig geworden. Zurück in St. Pauli machte sich der Regisseur mit dem Drehbuchautor Georg Tiefenbach auf die Suche nach der asiatischen Enklave im hanseatischen Rotlichtbezirk, wurde ums Eck der Großen Freiheit fündig und bastelte daraus sein Langfilmdebüt. Genau hier könnte die Geschichte zu handelsüblichem Historytainment des Unterhaltungsfernsehens werden. Eine Lovestory etwa mit exotischem Flair am fotogenen Handelsplatz Hamburg. Hübsch.

Doch das ortsansässige Duo hatte etwas völlig anderes im Sinn: einen Grusel-Thriller. Und fand sogar einen Fernsehsender: den NDR. Dort nämlich hatte Christian Ganderath grad beschlossen, die Debütfilmreihe »Nordlichter« nach zwei Liebesschwerpunkten zu mystifizieren. Obwohl Fiktion zum Gruseln meist aus Amerika importiert wird, erzählt der zuständige NDR-Abteilungsleiter Film und Serie im Horror-Museum »Hamburg Dungeon«, reichen die deutschen Wurzeln »bis tief in den expressionistischen Stummfilm hinein«. Und so wurde »Tian«, wie Schipporeits Erstlingswerk heißt, zum Auftakt schauriger Eigenproduktionen, die ab kommendem Donnerstag im Dritten laufen.

Der Bauingenieur Michael (Stephan Kampwirth) zieht darin mit Frau und Tochter in die real existierende Schmuckstraße, wo die Gestapo 74 Jahre zuvor das missliebige, weil »unarische« Chinesenviertel räumte. Im verwitterten Altbau wohnt allerdings nicht nur Michaels Schwiegervater Heinrich (Hermann Beyer), sondern auch eine Schar Geister der getöteten Opfer, mit denen besonders die psychisch labile Friederike (Katharina Schüttler) zu kämpfen hat. »Tian« (deutsch: Himmel) ist klassischer Gothic-Horror im Poltergeisterhaus, was die Netflix-Serie »Spuk in Hill House« gerade zur Perfektion führt. Im NDR jedoch werden Suspense und Tiefgang ein wenig zu oft durch dräuende Musik und zischende Heizkessel ersetzt, weshalb das zweite Nordlicht am 1. November weitaus sehenswerter ist.

In »Jenseits des Spiegels« zieht Julia mit Mann und Sohn auf den abgelegenen Hof ihrer verstorbenen Schwester Jette, die nach dem vermeintlichen Suizid offenbar noch immer durchs verwunschene Anwesen spukt - oder tut sie es nur im Kopf der schönen Neubewohnerin? Anders als bei »Tian« gelingt es dem Hannoveraner Regisseur Nils Loofs nach dem Drehbuch von Ingo Lechner und Jens Pantring, die rätselhafte Atmosphäre (fast) frei von Effekthascherei aufzuladen. Julia Hartmann und Bernhard Piesk schaffen es zudem als - fürs Provinzleben etwas arg urbanes - Paar, Normalität im Wahnsinn zu bewahren. Ähnliches gilt dann auch für den dritten Film der Reihe namens »Wo kein Schatten fällt«.

Das Debütprojekt des Kreativteams »Das Kind mit der goldene Jacke« um Regisseurin Esther Bialas ist eine Art Coming-of-Age-Story, in der die junge Hanna (Valerie Stoll) erkennt, dass sie eine Art Hexe ist.

Mit Godehard Giese, Rick Okon und Sascha Alexander Geršak bis in die Nebenrollen hinein prominent besetzt, beschränken sich die 95 Minuten allerdings nicht auf die mythologischen Aspekte moderner Magie, sondern verknüpfen sie - manchmal etwas bemüht popmodern, aber gehaltvoll - mit Themen wie der Unterdrückung weiblicher Emanzipation, die mit der Hexenverfolgung ja keinesfalls ihr Ende nahm. Eine gute Reihe, starkes Ende, Fortsetzung erwünscht.

25. Oktober bis 15. November, immer donnerstags im NDR.

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