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Rosa von Praunheim: Die alte, bunte Unke
Der Regisseur und Aktivist Rosa von Praunheim ist tot
Ein paar Mal betrat ich Rosa von Praunheims Wilmersdorfer Froschwelt. Eine riesige Altbauwohnung, verschlungen und vollgestellt mit Nippes und DVDs und Filmtechnik und Hausrat. Er gab damals noch gerne Pressekonferenzen zuhause mit Kaffee, Kuchen, Hüten, Rosen und Plastikpimmeln. All das war glaubwürdig, bizarr, so kleinbürgerlich wie bohemisch, und Rosa war zum Anfassen. Hellwach und interessiert, wenn auch manchmal müde und beiläufig. Sicher, auch er konnte typisch schwul sein. So eitel und rasiermesserscharf wie es alte Tunten nun mal sind, vor allem wenn sie einen Nimbus tragen. Rosa war nun nicht Rudolf Nurejew, aber der wichtigste schwule Filmemacher Deutschlands. Dazu unermüdlich und wenn er wollte, gar staatstragend oder eben staatserschütternd.
Allen ging Holger Mischwitzky, so sein bügerlicher Name, gerne auf den Sack, und fing 1971 mit den Schwulen selbst an. »Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt« tat den warmen Brüdern selbst den Gefallen, ihnen den Spiegel vors braungebrannte Gesicht zu stellen. Mit so viel Nähe zum Ekel wie Verständnis für die Illustriertenträume der geschassten Urningen und ihre notorische, viehische Geilheit. Tat dabei wiederum nicht ihren Peinigern den Gefallen des letzten Lachers. Im Mittelpunkt dieser Szenebeschimpfung standen eindeutig die Verursacher unsäglichen Leids: die bürgerliche Gesellschaft und ihre Falken. Zur gründlichen Analyse imstande ist nur, wer den Widerspruch selbst in sich trägt. Wer sich selbst gerne zum Kaffeekränzchen mit Plüschtieren dekoriert und der Gesellschaft gleichzeitig und ebenso gerne als »Satanische Sau« dient. So der Titel seines letzten Kinofilms von Rosa von Praunheim, veröffentlicht am 27. November 2025, vor gut drei Wochen also, kurz vor dessen Hochzeit.
Alles, was ihn beschäftigt, macht Rosa konsequent zu Film, Buch, Theater, Musical. Mit unglaublicher Energie und einer bei diesem Output verblüffenden Treffsicherheit.
Nun ist Holger Radkte tot – so sein Geburtsname –, der 1942 im Zentralgefängnis von Riga geboren wurde und dessen leibliche Mutter er erst 2006 fand. Sie war in einer Berliner Nervenklinik 1946 verhungert, der Sohn war zur Adoption freigegeben worden. Auch daraus machte Rosa von Praunheim einen Film (»Meine Mütter – Spurensuche in Riga«, 2007), denn der Waisenknabe wurde nicht nur Aktivist, sondern zuerst und vor allem Filmemacher auf allen möglichen Ebenen dieser Kunstform.
95 Langfilme sollen es sein, darunter sogenannte Kultfilme, wie die legendäre »Bettwurst«, die wohlgemerkt im selben Jahr erschien wie der schwulenrechtliche Paukenschlag. Luzi Kryn, Rosas eigene Tante zweiten Grades, und Dietmar Kracht, ein Hilfsarbeiter aus dem Strichermilieu, spielen sich selbst als heterosexuelles Paar mit eben den oben genannten Illustriertenträumen der Schwulen ausgestattet. Sie reden permanent aneinander vorbei, in Monologen von »Bild« bis Shakespeare, und werden so die beliebteste Partie des deutschen Mitternachtskinos. Welches, wohlgemerkt, Rosa von Praunheim erst erfindet. Er ist in diesem Moment gleichzeitig Gore Vidal und John Waters in Gestalt eines deutschen Froschs.
Mit den Froschhaxen trampelt er nur nach unten, wenn er gleichzeitig nach oben boxen kann. Lässt über den Muff der Arbeiterschicht kichern und outet berühmterweise im Fernsehen Prominente. 1991 sitzt er bei RTL auf dem »Heißen Stuhl« und spricht aus, was alle wissen: Hape Kerkeling und Alfred Biolek sind Homosexuelle. Ab diesem Zeitpunkt kommen die Morddrohungen nicht nur von Neonazis, sondern auch von Blut und Wasser schwitzenden Schwulen selbst.
Alles, was ihn beschäftigt, macht Rosa konsequent zu Film, Buch, Theater, Musical. Mit unglaublicher Energie und einer bei diesem Output verblüffenden Treffsicherheit. »Ein Virus kennt keine Moral« ist 1986 der erste deutsche Film über Aids. »Can I Be Your Bratwurst, Please?« lässt er 1999 den Pornostar Jeff Stryker fragen, inszeniert im Stil eines sexy David Lynch. Mit »Härte« liefert er 2015 ein seriöses Drama über Zuhälterei. 2022 arbeitet er sich in »Der letzte Tanz« an der persönlichen Tragödie des schwulen Schlagerstars Rex Gildo ab. Und dann eben zu guter Letzt »Satanische Sau« über das eigene Abnippeln, den allerpersönlichsten Kampf.
Mit Antidiskriminierungsgesetzen und Eheerlaubnis schien wiederum der Kampf der Schwulen in der BRD Ende der 2010er Jahre formal erfolgreich beendet. Überhaupt wurde die Schwulenbewegung abgelöst durch etwas, das sich Intersektionalität nannte. Und Queerfeminismus. Irgendwann LGBTQI+, Flinta und genreübergreifend BIPOC. Neue Abkürzungen und englische Vokabeln dafür, dass man als alles anerkannt sein darf, was man überhaupt (oder überhaupt nicht) sein kann. Gleichstellung für alle wirklichen und sich selbst erfindenden Minderheiten und Diskriminierungen. Was die notgeilen Schwulen damit zu tun hatten und damit also auch Rosa von Praunheim, das gab ihm durchaus zu denken. Denn diesmal stand vielleicht wirklich sein Lebenswerk auf dem Spiel und es war ihm nicht egal, von der nächsten Generation in die Vergessenheit gedrängt zu werden. Gecancelt zu werden, wie ein Kampfbegriff das bezeichnet. Rosa also fand sich zurecht, als schwuler Opi der Queeren. Als alte, bunte Unke.
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Wir warten nun auf Rosas Nachfolger: einer oder eine, die ihrer Peergroup und gleichermaßen ihren reaktionären Gegnern so richtig auf den Sack geht. Tunten, Transen und bi-neugierige Lederfister haben heute wieder so viel Angst vorm Kulturkampf von rechts, dass sie sich gegenseitig nicht mehr zu sagen trauen, was alles falsch läuft in ihrer Szene. Die einen verschanzen sich hinter »Queers for Palestine« und denken wirklich, die Hamas hinge sie nicht übermorgen am Laternenpfahl auf. Die anderen wiederum ziehen von Berlin nach Gütersloh, weil sie denken, dass sie übermorgen von Arabern auf der Sonnenallee am Laternenpfahl aufgehängt würden. Zwischen Fanatismus und Panik also zieht sich der Schwule in die gleichen Refugien zurück wie vor 50 Jahren: Ehesimulation und/oder Sexsucht. Beides jetzt so legal wie digital und trotzdem mindestens so verklemmt und selbstzerstörerisch wie vor 50 Jahren – eine perverse Situation.
Lieber Rosa, danke für alles. Und sorry, dass ich damals keine Lust auf Telefonsex hatte.
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