Heike Drechsler war »kein IM des MfS«

Die Weitsprung-Olympiasiegerin hat mit einem eigens in Auftrag gegebenen Gutachten ihre DDR-Vergangenheit aufarbeiten lassen

  • Ulrike John
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Stasi-Vorwürfe und den Decknamen »IM Jump« hat Heike Drechsler mehr als 25 Jahre lang mit sich herumgeschleppt. Jetzt sieht sich die zweimalige Weitsprung-Olympiasiegerin von diesem Makel befreit. Ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten entlastet die 53-Jährige. Dies geht aus einem Bericht des Bayerischen Rundfunks mit weiteren Zeugen- und Expertenaussagen hervor.

Der Stasi-Forscher Helmut Müller-Enbergs, der nach der Wende als stellvertretender Fachbereichsleiter in der Forschungs- und Medien-Abteilung der Stasi-Unterlagen-Behörde arbeitete, kommt zu dem Schluss: »Frau Heike Drechsler war zu keinem Zeitpunkt (...) als ›IM Jump‹ beim MfS erfasst gewesen.« Keine Inoffizielle Mitarbeiterin des Ministeriums für Staatssicherheit? »Das Ergebnis bedeutet, dass ich recht hatte, dass ich nie IM gewesen bin. Dafür gibt es jetzt eine wissenschaftliche Grundlage«, sagte Drechsler nachdem sie die Aufarbeitung ihrer DDR-Vergangenheit in den vergangenen zwei Jahren vorangetrieben hatte.

Die öffentlichen Anschuldigungen, sie habe der Stasi zugearbeitet und Kollegen bespitzelt, machten Drechsler sehr lange zu schaffen. »Das kommt immer hoch, und jedes Mal kriege ich regelrecht Bauchschmerzen, weil es so nicht stimmt«, sagt sie in dem ARD-Radiofeature. Sie habe das - nach einem Reifeprozess - für sich aufarbeiten müssen. »Ich will einfach, dass das rauskommt aus meinem Lebenslauf.«

1987 hatte Drechsler von Heinz Bergner, einem Stasi-Offizier und Freund der Familie, 500 D-Mark erhalten. Und ihm dafür eine Quittung mit dem Namen »Jump« unterschrieben - ein folgenschwerer Vorgang. Drechsler beteuert, sie habe damals nicht gewusst, dass dieser inzwischen verstorbene Mann bei der Stasi gewesen sei. Zusammen mit Bergner trat sie 1993 sogar im ZDF-Sportstudio auf, um sich zu rechtfertigen. »Heike Drechsler hat zu keiner Zeit Informationen abgegeben oder konspirativ gearbeitet«, sagte der Stasi-Major damals - was ihm viele nicht glaubten.

Das Geld, so Drechsler, habe sie als Ausgleich dafür gesehen, dass sie vor dem Mauerfall von ihren Prämien oft nichts gesehen habe. Ihre Unterschrift von damals ärgert die zweimalige Weltmeisterin heute maßlos: Das sei was »Blindes, Doofes« gewesen. Und es gebe keine Entschuldigung für ihre Naivität.

Vor allem diese Quittung diente über viele Jahre hinweg als Beleg für Drechslers IM-Tätigkeit. Sie war ein Aushängeschild des DDR-Sports, Mitglied in der SED und Abgeordnete der Volkskammer. Im Nachschlagewerk »Wer war wer in der DDR?« gab es unter dem Namen Heike Drechsler den Vermerk: »1986 - 1988 als IM Jump erfasst.« Müller-Enbergs, der auch schon Gutachten für den Deutschen Bundestag geschrieben hat und heute an der dänischen Universität Odense Spionagegeschichte lehrt, war Mitherausgeber des Lexikons.

In seinem 31-seitigen Gutachten zum Fall Drechsler, das er honorarfrei erstellt hat, kommt er nun zu einem anderen Schluss: Auf die Frage, ob Drechsler »nach den Maßstäben des MfS beziehungsweise des Stasi-Unterlagen-Gesetzes als Inoffizielle Mitarbeiterin zu bewerten ist, fällt die Antwort eindeutig aus: Nein.« Nicht alles, was man ihr vorgeworfen habe, so Müller-Enbergs, sei falsch: »Sie hatte Kontakte zur Stasi, ob wissentlich oder nicht, und sie war - zumindest vorübergehend - Begünstigte der Stasi.« Aber vom MfS sei sie immer nur als VIM, also als Vorlauf-IM, geführt worden: Den Eintrag ins Lexikon hat er inzwischen korrigieren lassen: »Sie war kein IM des MfS.«

Detlef Höhn von der Forschungs- und Medienabteilung der Stasi-Unterlagen-Behörde in Berlin sagte dem BR: Drechsler habe zu DDR-Zeiten »keine Verpflichtungserklärung unterschrieben: Weil keine Berichte in der Unterlage drin sind.« Fast zeitgleich zu dieser Aussage bekam die Goldmedaillengewinnerin von Barcelona 1992 und Sydney 2000 aber einen Bescheid von der Behörde nach ihrer erneut beantragten Akteneinsicht: Weitere Unterlagen hätten ergeben, dass sie Mitarbeiterin des Staatssicherheitsdienstes gewesen sei. Dagegen hat Drechsler im Februar Widerspruch eingelegt - bis heute nach eigenen Angaben aber keine Antwort auf ihre Fragen bekommen.

Heike Drechsler sagt, sie habe aus der Geschichte »wahnsinnig für mich gelernt«. Die heute in Berlin lebende Thüringerin betonte auch: »Wenn jetzt noch jemand behauptet, ich wäre IM gewesen, würde ich rechtlich dagegen vorgehen.« dpa/nd

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