Google-Angestellte wehren sich gegen sexuelle Belästigung

Der Internetriese kehrte Vorfälle lange unter den Tisch und zahlte Beschuldigten hohe Abfindungen - jetzt gelobt man Besserung

  • John Dyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Motto der Google-Muttergesellschaft Alphabet lautet: »das Richtige tun«. Doch viele Mitarbeiter glauben, dass ihre Chefs Heuchler sind. Angestellte des Riesen aus dem Silicon Valley haben in den vergangenen Tagen die Arbeit niedergelegt, um gegen den Umgang der Führungskräfte mit Vorwürfen sexueller Gewalt im Unternehmen zu protestieren. »Wir hören für 90 Millionen Dollar auf«, stand auf dem Plakat eines Demonstranten bei einer Veranstaltung auf dem Mountain View Campus des Unternehmens in Nordkalifornien.

Die Summe war ein Hinweis auf die Abfindungszahlung an Andy Rubin. Als der Entwickler des Smartphone-Betriebssystems Android das Unternehmen im Oktober 2014 verließ, verabschiedete sich Alphabet-Gründer Larry Page mit den Worten: »Ich möchte Andy alles Gute wünschen für das, was als nächstes kommt.« Mit Android habe er etwas wirklich Außergewöhnliches geschaffen - »mit über einer Milliarde zufriedener Nutzer«. Verschwiegen wurden hingegen die Vorwürfe einer Angestellten, dass Rubin sie im Jahr 2013 zu Oralsex gezwungen habe, während die beiden eine Affäre hatten. Darüber berichtete jetzt die »New York Times«. Die Enthüllungen erschüttern das Unternehmen.

Google war eines der ersten Unternehmen im Silicon Valley, das seinen Angestellten Tischtennisplatten, kostenlose Snacks, Sitzsäcke und andere spielplatzähnliche Einrichtungen zur Verfügung stellte. Auch gibt sich das Unternehmen seit Langem ein Image von Offenheit und bekennt sich zu fortschrittlichen Werten wie der Gleichbehandlung von Frauen. Die Realität sieht anders aus: Rubin ist nicht der einzige hochkarätigen Manager, der wegen sexueller Belästigung angeklagt und aufgefordert wurde, leise zurückzutreten, und dafür mehrere Millionen Dollar Abfindung erhielt.

Die Veröffentlichungen über den Umgang des Unternehmens mit sexuellen Übergriffen kommt zur Unzeit. Erst kürzlich beschwerten sich Mitarbeiter über Alphabets Arbeit für das Pentagon und kritisierten zudem, dass der Konzern der chinesischen Zensur nachgegeben hat, die verlangt, dass die Internetsuchmaschine negative Nachrichten über die politische Elite in Peking herausfiltert.

»Ein Unternehmen ist nichts ohne seine Angestellten«, schrieben jetzt sieben Google-Mitarbeiterinnen, die die Proteste organisieren, in einer Erklärung, die auf der Website »The Cut« veröffentlicht wurde. »Von dem Moment an, an dem wir bei Google anfingen, wurde uns gesagt, dass wir nicht nur Mitarbeiter, sondern auch Eigentümer des Unternehmens sind.«

Die Softwareentwicklerin Kelly Ellis aus San Francisco erklärte, dass die extreme Konkurrenz in der Technologieindustrie und die Vorherrschaft der Männer dort zu einer Kultur der Kumpanei beigetragen haben, die dazu führe, dass Frauen im Silicon Valley ausgenutzt werden. »Als ich von dem Direktor des Bereichs, in dem ich arbeitete, sexuell belästigt wurde, hatte ich Angst, es zu melden, weil ich befürchtete, dass, ›ihn in Schwierigkeiten zu bringen‹, zu Vergeltungsmaßnahmen führen würde, die meine Karrierechancen schmälern könnten«, sagte sie.

Experten zufolge könnte der Skandal auf lange Sicht die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens beeinträchtigen. So hängt dem Analysten John Wilson zufolge Googles Erfolg vor allem von seinen Mitarbeitern ab. »Google stellt Leute ein, die überall arbeiten können«, sagte er dem »Wall Street Journal«. »Wenn Mitarbeiter also nicht darauf vertrauen, dass das Unternehmen ihnen den Rücken stärkt, wird das Google beeinträchtigen, Mitarbeiter anzuziehen, zu binden und zu motivieren.«

Page und Google-Chef Sundar Pichai entschuldigten sich bereits dafür, dass sie Führungskräfte, die wegen sexueller Belästigung angeklagt sind, nicht härter behandelt hätten. Sie erklärten ferner, dass sie 48 Personen wegen sexueller Belästigung gefeuert und ihnen keine großen Abfindungen gegeben hätten. »Ich entschuldige mich zutiefst für die vergangenen Vorfälle und den Schmerz, den sie den Mitarbeitern verursacht haben«, schrieb Pichai in einer E-Mail an die Angestellten. »Larry erwähnte dies letzte Woche auf der Bühne, aber es muss wiederholt werden: Wenn auch nur eine Person bei Google so etwas erlebt, wie es der Artikel der ›New York Times‹ beschreibt, sind wir nicht das Unternehmen, das wir sein wollen.«

Aber der Schaden ist bereits entstanden. Die Unternehmensberatung Accenture hat kürzlich festgestellt, dass der Vertrauensverlust bei Beschäftigten und anderen Stakeholdern aufgrund von Fehltritten von Topmanagern und weiteren Skandalen US-Aktiengesellschaften rund 180 Milliarden Dollar Umsatz gekostet hat.

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