Von Parteien Gunst und Hass verwirrt

Revolutionsgedenken im November und ein vorläufiges Fazit

Noch vor zehn Jahren zählte die deutsche Novemberrevolution in der Bundesrepublik zu den »vergessenen Revolutionen«. Ganz anders zum 100. Jahrestag. Der Jubel ist schon unheimlich. Nicht nur zahlreiche Publikationen erschienen, landauf, landab fanden (und finden noch) Konferenzen statt, wurden Ausstellungen eröffnet und an Orte der Ereignisse gepilgert. Träger lokaler Erinnerung waren vornehmlich zivilgesellschaftliche Initiativen.

Freilich, die SPD ließ es sich nicht nehmen, am vergangenen Donnerstag mit einem Festakt die Revolution als eine sozialdemokratische zu reklamieren. Schuld für strukturelle Schwächen der ersten deutschen Demokratie sah Andrea Nahles in der »verhängnisvollen Spaltung der Arbeiterbewegung«. Die Parteichefin appellierte an die Genossen, Rosa Luxemburg nicht der Linkspartei zu überlassen. Peter Brandt, ältester Sohn von Willy Brandt, träufelte Wermut in die Feierlaune. Der Wissenschaftler bestand auf historische Korrektheit. Und Fakt ist: Die »sozialdemokratische Revolution« ist von den sozialdemokratischen Führern nicht gewollt und erwürgt worden.

Am Jahrestag selbst, am Freitag, den 9. November, würdigte die IG Metall die Revolution unter dem Motto »Aufbegehren«. »Es waren Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die im November 1918 für Frieden, Anerkennung von Gewerkschaftsrechten und die Ablösung der konstitutionellen Monarchie eintraten«, betonte Jörg Hofmann, Vorsitzender der IG Metall. Tags zuvor hatte die Initiative »1918 unvollendet« zum Brandenburger Tor gerufen. Rolf Becker erinnerte vor einer DKP-Fahnen schwenkenden Menschenmenge an die Rätebewegung, die für Entmilitarisierung, Sozialisierung, Enteignung des Großkapitals und Demokratisierung des Wirtschaftslebens eintrat und niedergeschlagen worden ist. Die Forderungen nach Frieden und sozialer Gerechtigkeit seien noch aktuell, betonten der Schauspieler und seine Ko-Referenten. Abhängig Beschäftigte arbeiten nach wie vor fremdbestimmt, die Demokratie ende vor Betriebstoren, erkämpfte Arbeitszeiten, Arbeitsbedingungen, Tarifautonomie und Ähnliches würden untergraben. »Abrüsten statt Aufrüsten« sei gleichwohl ein unabgegoltenes Erbe der Unvollendeten von 1918/19.

Die von der Historischen Kommission der SPD lange geplante Konferenz zur Novemberrevolution übernahm die Friedrich-Ebert-Stiftung, da das Geschichtsgremium im Frühsommer willkürlich von Frau Nahles aufgelöst worden ist. Die Tagung fand ebenfalls am historischen Tag, am 9. November, in Berlin statt. Allerdings ohne die erste Riege sozialdemokratischer Parteihistoriker im Podium. Auch hier wurde eine Prise Salz in das »Festtagsmenü« gestreut. Sogar gleich zu Beginn durch Michael Sommer, den stellvertretenden Vorsitzenden der Stiftung und langjährigen Bundesvorsitzenden des DGB. Angesichts des just festlich begangenen 20. Jahrestages der ersten rot-grünen Koalition auf Bundesebene fragte er bissig-bitter: »Was feiern wir da eigentlich? Riester-Rente, Liberalisierung der Finanzmärkte, Einführung des Niedriglohnsektors?« Auf die Revolution 1918/19 könne man indes mit Stolz zurückblicken, so Sommer, der sich freute, dass »endlich ein deutsches Staatsoberhaupt die Kraft fand, den 9. November ’18 als Tag der Demokratie und Menschenrechte zu würdigen«. Womit er die Rede von Frank-Walter Steinmeier im Bundestag meinte.

Detlef Lehnert, Politikwissenschaftler an der FU Berlin, zitierte auf der Tagung der Ebert-Stiftung Karl Kautsky, der die SPD »eine revolutionäre, aber keine Revolution machende Partei« titulierte. Die SPD-Führer setzten auf Reformen. Durch ihr Versäumnis, die geforderte Neuordnung des Militärwesens in Angriff zu nehmen, hätten sie sich mitschuldig gemacht an einer fatalen Kontinuität, die im Handschlag zwischen Hindenburg und Hitler mündete. Für den Historiker Dirk Schumann hingegen ist die These einer ungebrochenen Linie von Noske bis Hitler »wenig stichhaltig«. Der Lehrstuhlinhaber in Göttingen sprach von einer enormen Gewaltbereitschaft in der Revolution und in der Republik, die einerseits damaligem männlichen Wehrhaftigkeitsbild entsprach und andererseits »dilettantischen Versuchen der Linken zur Weitertreibung der Revolution« sowie dem »Anti-Chaos-Komplex der SPD« entsprang. Vom Publikum genötigt, räumte er dann ein, »die weiße Gewalt war brutaler als die der Linken«.

Kathrin Groh von der Universität der Bundeswehr in München, verwies darauf, dass das Grundgesetz ob Sozialstaatlichkeit, soziale Gerechtigkeit und Sozialpflichtigkeit des Eigentums weit hinter der Weimarer Verfassung zurückbliebe. Die Rechtfertigung der Gründungsväter und -mütter der bundesdeutschen Verfassung, die Weimarer Republik habe ihre verfassungsrechtlichen Versprechungen nicht erfüllen können, deshalb sei weniger Großmäuligkeit beim Grundgesetz geboten gewesen, war wohl ein Scheinargument. Auch Kirsten Heinsohn aus Hamburg bürstete wider die Euphorie des Rückblicks, dämpfte den gegenwärtigen Hype um das Frauenwahlrecht, ohne jene Errungenschaft schmälern zu wollen: Am 12. November 1918 sei das lange überfällige allgemeine, gleiche, geheime, freie und direkte Wahlrecht für alle Bürger und damit auch Bürgerinnen verabschiedet worden; das Frauenwahlrecht war Teil und Ergebnis jahrzehntelangen Kampfes um die Wahlrechtsreform. Heinsohn zitierte die sozialdemokratische Frauenrechtlerin Marie Juchacz, die vor der Nationalversammlung selbstbewusst deklarierte, für das Recht zu wählen und gewählt zu werden, würden die Frauen niemandem Dankbarkeit schulden, dies sei eine Selbstverständlichkeit. Über die von Marie Juchacz 1919 mitbegründete Arbeiterwohlfahrt referierte anschließend Philipp Kufferath vom Archiv der sozialen Demokratie in Bonn. Die AWO als »Selbsthilfe der Arbeiterschaft«, wie der erste Reichspräsident Friedrich Ebert formulierte, war ein Eingeständnis der Republik, die in der Verfassung kodifizierte Interventionspflicht des Staates fürs Allgemeinwohl nicht realisieren zu können (oder nicht zu wollen).

Auffallend ist, dass die Rosa-Luxemburg-Stiftung im geschichtsträchtigen Novembermonat keine zentrale Revolutionskonferenz anberaumte, dafür zahlreiche dezentrale in Hannover und Heilbronn, Stuttgart und Stendal, Düsseldorf und Dresden, Leipzig und Ludwigslust, Gera und Goslar, München etc. Interessant ist das vorläufige Fazit, das Mitglieder der Historischen Kommission der Linkspartei bei einem Treffen am Samstag über das bisherige Revolutionsgedenken zogen. Als sehr differenziert wurden die Veranstaltungen des Humboldt-Forums auf der Baustelle des Berliner Schlosses und Aktivitäten des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam gewertet, als »unter aller Kanone« eine Ausstellung in Würzburg. Das Gros der Presse reflektiere ein veraltetes Geschichtsbild oder Geschichtsrevisionismus: Friedrich Ebert habe alles richtig gemacht, die »Spartakisten« wären die Zündler gewesen. Beanstandet wurde von der Geschichtskommission, dass stets nur die Ausrufung der freien Republik durch Philipp Scheidemann am 9. November 1918 Erwähnung fände, die fast zeitgleiche der sozialistischen Republik durch Karl Liebknecht indes unterschlagen werde. Das Prager Manifest der Exil-SPD von 1934 wurde als ehrlicher denn heutige offizielle sozialdemokratische Statements zur Revolution geadelt. Mit Besorgnis registriert wurde eine »Dolchstoßlegende light«, kolportiert gar von angesehenen Historikern des Landes. Danach seien deutsches Heer und Kriegsmarine im Herbst 1918 keineswegs geschlagen, sondern noch voll kampffähig gewesen; ein Rückzug der Truppen nach Belgien sowie ein Auslaufen der Flotte hätten günstigere Friedensbedingungen für Deutschland ermöglicht. Oh je ...

Es bleibt ergo im Revolutionsjahr noch viel zu diskutieren, zu korrigieren und zu präzisieren. Gerade weil ebenso für eine Revolution gilt, was Friedrich Schiller für historische Akteure konstatierte: Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, schwankt ihr Charakterbild in der Geschichte.

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