• Berlin
  • Proteste gegen Durchsuchungen

Kein »Sicherheitstheater«

Linke Aktivisten kritisieren militärische Dimension der Großrazzia vom 15. November

  • Johannes Oswalt und Aylin Braunewell
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Buchhandlung am Heinrichplatz wirkt am Freitagabend wie ein warmes, gemütliches Wohnzimmer, während es draußen dunkel wird. Davor stehen Menschen in der Kälte, um gegen den Polizeieinsatz am 15. November zu demonstrieren. Über 500 Beamt*innen, darunter das Sondereinsatzkommando, hatten Wohnungen in Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln im Zusammenhang mit einem Überfall auf einen Spätkaufverkäufer im Mai durchsucht.

Der private Veranstalter der Kundgebung äußert als zentrales Anliegen, den von den Durchsuchungen Betroffenen den Rücken zu stärken und gemeinsam gegen ein entstehendes Ohnmachtsgefühl vorzugehen. »Wir wollen unsere Solidarität zum Ausdruck bringen und eine Gegenöffentlichkeit schaffen zur inszenierten Stimmungsmache durch Politik und Medien.« Der Kontakt zu Anwohner*innen sei dabei wichtig, man habe im Vorfeld Informationsmaterial verteilt.

Sebastian sei auf der Kundgebung, weil er morgens aus dem Fenster geschaut und Polizist*innen mit Maschinenpistolen und einen Hubschrauber gesehen habe. Er kritisiert vor allem die militärische Dimension am Vorgehen der Polizei. Maja aus Schöneberg hat ähnliche Beweggründe, an der Demonstration teilzunehmen. »Ich bin hier, um gegen die staatliche Repression zu demonstrieren. Das war eine komische Aktion, um die radikale Linke zu kriminalisieren.«

Auf der Kundgebung sprechen unter anderem eine betroffene Wohngemeinschaft, eine feministische Gruppierung und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein. Kritisiert werden die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes, die Berichterstattung darüber und die Wohnraumpolitik im Allgemeinen. Einige Redner*innen vermuten einen Zusammenhang der Durchsuchung mit dem SPD-Landesparteitag und der Innenministerkonferenz am Samstag.

Timo aus Neukölln sieht die Hauptschuld an einer gescheiterten Wohnraumpolitik, die Spekulanten noch schütze. Er lehnt sich auf sein Fahrrad. An der politischen Dimension der Einsätze zweifelt er nicht, genauso wie sein Freund Christian. »Verhältnismäßigkeit? Null Komma null!«, sagt dieser in Bezug auf das Vorgehen der Polizei. Es läuft »Ton Steine Scherben« über die Anlage.

Die Teilnehmenden versammeln sich hinter einem Fronttransparent, auf dem »Zu viel Ärger – zu wenig Wut« steht und darunter: »Unsere Solidarität gegen euer Sicherheitstheater«. Hinter acht Polizeifahrzeugen und einer großen schwarz-roten Fahne zieht die Demo zügig Richtung Osten auf die Wiener Straße und überquert an der Ohlauer Straße den Landwehrkanal. Auf dem Weg werden Flyer verteilt. Die Teilnehmenden rufen »Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Häuser klaut!« und »Rigaer Straße, Liebig bleibt! One struggle, one fight!« Andreas beobachtet die Demonstration aus einem Hauseingang. Als italienischer Altlinker freue er sich über Engagement gegen Gentrifizierung und Faschismus. Über den Kottbusser Damm und das Kottbusser Tor bewegt sich die Demo zurück zum Heinrichplatz.

Der Veranstalter spricht von bis zu 350 Teilnehmenden, die Polizei von 250 Menschen. Laut Polizeiführung gab es zwei Ingewahrsamnahmen zur Identitätsfeststellung vor der Kundgebung und eine im Anschluss aufgrund des Vorwurfs der Beleidigung. Die Demonstration verläuft friedlich und wird um kurz nach sieben vom Veranstalter beendet.

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