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Die schlauen Griechen

Pedro Olalla lädt zu einem politischen Spaziergang durch Athen ein

  • Stefan Berkholz
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie schlau und basisdemokratisch waren doch die alten Griechen einst, wenn auch nur für ein paar Jahre. Das Volk herrschte tatsächlich und hatte die Macht nicht abgegeben an Statthalter, Funktionäre oder Lobbyisten. Die Legislative, die Regierung und die Gerichtsbarkeit lagen wahrhaftig in den Händen der Bürger!

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Pedro Olalla: Die ausgegrabene Demokratie. Ein politischer Spaziergang durch Athen.
A. d. Span. v. Matthias Strobel. Berenberg, 184 S., geb., 22 €.

Vierzehn Jahre unter Perikles (443 - 429 v. Chr.) seien »die Glanzzeit der Athenischen Demokratie« gewesen, schreibt Pedro Olalla in seinem aufregenden Buch »Die ausgegrabene Demokratie«: Alle Schichten der Gesellschaft hatten direkt teil am Gemeinwohl; »Gerechtigkeit und Transparenz der Amtsführung« wurden durch permanente kollektive Kontrolle garantiert; Amtsinhaber wurden auf Zeit berufen und konnten jederzeit abberufen werden.

Später geißelten Aristoteles und Platon »die Herrschaft des Geldes über die Würde und die Bedürfnisse des Menschen«; sie brandmarkten also genau das, was heute die Grundlage des entfesselten Kapitalismus ist. Damals sollte die Menschenwürde erhalten bleiben, Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität sollten herrschen, und eine »Regierung der Tugend« die Schicksale des Menschen lenken.

2500 Jahre sind seit der Geburt der Demokratie vergangen, schreibt Olalla: »Und die Demokratie ist ein unvollendetes Projekt geblieben.« Der 52-jährige spanische Autor lebt in Athen und hat bereits zahlreiche Bücher und auch Filme zur Vergangenheit und Gegenwart der griechischen Kultur veröffentlicht. In diesem »Stadtführer der besonderen Art«, wie ihn der Verlag ankündigt, veranschaulicht der Autor, was wir verloren haben.

Olalla führt zu verwilderten, unkenntlich gemachten Orten in Athen, die »eigentlich Pilgerstätten sein sollten«. Er weist auf verborgene »Quadersteine und Fundamente eines namenlosen Gebäudes aus der Zeit Platons« und erklärt, dass der Philosoph in jenem Garten »sein politischstes Buch« verfasste, Titel: »Der Staat«. Es war der Versuch, eine harmonische Gesellschaft zu entwerfen.

Dann schlendern wir über den antiken Friedhof von Kerameikos. Der Autor zeigt links und rechts des Wegs auf die Gräber berühmter Vorfahren, der Väter der griechischen Antike, und er hält dann kurz inne, wenn er schreibt: »Es ist verblüffend, wie nah dieses antike Athen heute immer noch ist.« Dort, unter der Erde, der Reichtum der Vergangenheit; und oben, in den Straßen nebenan, die Gegenwart der Griechen in Armut und Entwürdigung: Katzen und Menschen durchwühlen Müllcontainer; Geschäfte stehen leer und sind mit rostigen Gittern versperrt; eine verwirrte alte Frau irrt in einer Seitengasse herum. Nur die Graffitis an den Wänden verraten noch etwas vom Zorn und dem Widerstandsgeist der Griechen.

Olalla skizziert, was aus dem Wort Demokratie »nach dem Zerfall der Athenischen Demokratie« und dem Aufstieg des Römischen Reichs über die Jahrhunderte wurde: nämlich die Regierungsform einer kleinen Elite zum Nutzen der eigenen Klasse und des eigenen Vorteils.

Noch in die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika betonten die Verfasser 1776 »the pursuit of happiness«, also »das Recht auf das Streben nach Glück«. Welcher Politiker würde sich dieses Wort heute noch in seinen Redetext schreiben lassen?

Im »Neoliberalismus« der Gegenwart handele »der Staat als Diener des Kapitals«, bemerkt Olalla. In jener fernen Zeit in Athen aber sei man zu der Einsicht gelangt, dass die politische Kunst nichts anderes sei »als der organisierte Wille aller im Kampf gegen den Egoismus«. Davon ist die vorherrschende Klientel- und Vetternwirtschaft Griechenlands natürlich auch meilenweit entfernt, wie der Autor in einem knappen Exkurs nachweist. Und an Beispielen der Umformung des Athener Stadtzentrums in eine Konsumzone, resümiert er nüchtern: »Der kritische Bürger wurde ersetzt durch den trägen Konsumenten«. Gibt es Hoffnungen? Aussichten auf einen Wandel? Selbstverständlich! Raus auf die Straße, mahnt der Autor, für die eigenen Rechte aufstehen und demonstrieren.

Pedro Olalla hat einen profunden Parforceritt durch die griechische Antike vorgelegt. Der kundige Stadtführer führt uns an die Orte und zu den Ursprüngen der wahren Demokratie.

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