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Ehrenamtliche werden in der Flüchtlingshilfe nach wie vor gebraucht.

  • Marion Bergermann
  • Lesedauer: 5 Min.

Wenn du unser Logo zeigst, hilft das normalerweise«, sagt Christiane Beckmann. Sie schreibt einer Frau einen Zettel, die für ihr Visum auf dem Weg zu einer Behörde ist. »Wir sind eine politische Organisation«, erklärt ihr Beckmann, die Geschäftsführerin von »Moabit hilft« - der Freiwilligen-Initiative, die im Winter 2015 bundesweit bekannt wurde, als sie Essen und Kleider an Geflüchtete austeilte, die vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) übernachteten. Seitdem hat sich der Verein professionalisiert. Drei bezahlte Stellen, sechs Bundesfreiwillige und Praktikant*innen arbeiten mit, dazu viele Ehrenamtliche. Sie begleiten zu Ämtern und Gerichtsterminen, unterstützen bei der Wohnungssuche, übersetzen, organisieren Sprachcafés und betreiben eine Kleiderkammer.

Vor allem ist »Moabit hilft« ein politischer Akteur geworden. Mit Bezirks- und Senatsvertreter*innen arbeitet die Organisation an einem Rahmenplan für Qualitätsstandards in Geflüchtetenunterkünften. Als sie im Juli dieses Jahres die Nominierung zum Integrationspreis unter Schirmherrschaft von Innenminister Horst Seehofer (CSU) ablehnen wollten, schlug das mediale Wellen.

Drei Jahre nach dem erhöhten Ankommen von Geflüchteten und der damals ausgerufenen sogenannten »Willkommenskultur« machen Initiativen wie »Moabit hilft« noch heute weiter. »Es ist nicht mehr diese humanitäre Ersthilfe, die wir leisten. Die Grenzen sind ja zu«, sagt Beckmann. Heute gehe es darum, neu ankommenden Menschen zum Beispiel ihre Rechte zu erklären. Und Menschen, die lange hier sind, in ihren bestehenden Strukturen zu unterstützen. »Die Arbeit ist nicht weniger geworden. Sie ist einfach nur anders«, resümiert die Sozialarbeiterin. Während 2016 rund 80 Ehrenamtliche täglich zum Helfen kamen, sind es nun um die 20.

Wie viele sich in ganz Berlin noch engagieren und wie, dazu existieren keine Zahlen. Lediglich für die Heime, in denen Geflüchtete wohnen, gibt es eine Erhebung. Dort helfen laut Landesamt für Flüchtlinge etwa 28 Ehrenamtliche pro Unterkunft aus, in allen Unterkünften zusammen seien es etwa 2800 Berliner*innen. Bundesweit sind von den sechs Millionen helfenden Bürger*innen im November 2015 die meisten noch aktiv. Das zeigen Zahlen einer repräsentativen Umfrage der Evangelischen Kirche. Demnach engagierten sich im April 2017 noch fast genauso viele. Zurückgegangen sind nur die Sachspenden und die Unterstützung in Unterkünften. Der Migrationsforscher Serhat Karakayali schreibt, dass die Hilfsbereitschaft der Freiwilligen seit dem Sommer 2015 nur wenig abgenommen habe.

Dass sich die Arbeit der Ehrenamtlichen verändert hat, bestätigt der Flüchtlingsrat Berlin-Brandenburg. Von der ehemals langen Liste der Initiativen seien zahlreiche nicht mehr aktiv, sagt Mitarbeiterin Martina Mauer. Die noch bestehenden kennen sich dafür umso besser aus: »Viele haben sich professionalisiert und ein stetiges Unterstützungsangebot geschaffen«, erklärt sie. Beispiele sind »Moabit hilft«, »Pankow Hilft«, das »Willkommensbündnis Steglitz-Zehlendorf«. Dass sich weniger Berliner*innen engagieren, findet Mauer nicht schlimm. »Ehrenamt sollte ein zusätzliches Angebot sein und nicht staatliche Aufgaben ersetzen«, sagt sie. »Es ist wichtig, professionelle Angebote zu stärken, finanziell gut auszustatten und staatliche Versorgungslücken zu schließen.«

Der rot-rot-grüne Senat stärkte sowohl bezahlte Stellen für die Unterstützung von geflüchteten Personen als auch die Arbeit der Ehrenamtlichen. Mittlerweile hat fast jeder Bezirk eine Anlaufstelle für ehrenamtlich Engagierte, in fast jeder Unterkunft haben sie Ansprechpartner*innen. Für ehrenamtliche Initiativen stellte die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales dieses Jahr 50 000 Euro Fördermittel bereit.

Bei »Moabit hilft« sortiert eine Frau Hosen in die Regale der Kleiderkammer. Geordnet liegt hier Kleidung in allen Größen, stehen Schuhe akkurat nebeneinander. Der Raum ist nicht nur für neue Anziehsachen da. »Eigentlich geht es darum, Menschen aus der Isolation zu holen, hier herauszufinden, wo die Probleme sind. Und dafür ist Kleidung wie ein Katalysator«, sagt Christiane Beckmann.

Sie erzählt von einer syrischen Familie, die sich, seit vier Wochen in Berlin, in der Kleiderkammer umsah. Nach einer Weile hätte der Vater zögerlich nach einem Kinderwagen gefragt. Im Gespräch stellte sich heraus, dass eines der Kinder schwer krank ist und die Familie zu viert zwei Zimmer bewohnt, ein weiteres Baby ist auf dem Weg. Beckmann schrieb Anträge, beriet, kümmerte sich.

»Ehrenamtliche leisten immer noch wichtige Arbeit und füllen Versorgungslücken«, sagt Martina Mauer. Freund*innen, Arbeit und eine Wohnung finden, sich mit der Bürokratie herumschlagen, ankommen. »Viele sind der Meinung, dass es gut läuft. Weil man nichts sieht und kein Bewusstsein dafür hat, wie schwierig es für die Menschen ist, die hier sind«, erklärt Beckmann.

Auch die »Schlafplatz-Orga«, die seit 2014 Übernachtungsplätze und Zimmer an Geflüchtete vermittelt, hat nach wie vor viel zu tun. »Wir haben weiter viele Leute, die obdachlos sind, wir brauchen weiterhin Unterstützer*innen, die Leute bei sich aufnehmen.«, sagt Frieda Kaufmann, die sich dort engagiert. Sie findet es gut, dass es mittlerweile viele Gruppen gibt und diese sich vernetzen. »Es hat sich eine Struktur gebildet, die Interessierte an ehrenamtlicher Arbeit auffängt oder Informationen geben kann.«

Wichtig ist das, weil weiter Geflüchtete hierher kommen. Bis Ende Oktober dieses Jahres kamen nach Berlin 6179 Personen, bundesweit rund 121 500. Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei sind die meisten, die in den letzten Jahren kamen, noch da. Von den 1,7 Millionen Menschen, die zwischen 2013 und März 2018 in Deutschland einen Asylantrag stellten, verließen rund 300 000 Menschen das Land, unter Zwang oder freiwillig.

Beckmann und ihre Kolleginnen arbeiten jeweils 60 Stunden pro Woche, sie würden gerne weitere Stellen schaffen. Außerdem finanziert sich der Verein nur durch Spenden, weshalb sie Fördermitglieder suchen, um weitermachen zu können. Unabhängig und langfristig.

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