Bange Weihnachten

Der Kauf von vier Blöcken der Karl-Marx-Allee durch die Deutsche Wohnen versetzt Politik und Mieter in Aufruhr.

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 8 Min.

Die Nachricht von Anfang November war ein Schock für rund 2000 Menschen in 700 Wohnungen an der Karl-Marx-Allee in Berlin. Die vier Blöcke wurden von der Predac Immobilien AG für etwas über 240 Millionen Euro an die börsennotierte Deutsche Wohnen verkauft. Das sind je nach Wohnung 3200 bis 4300 Euro pro Quadratmeter. Die Sorgen der Mieter vor Verdrängung sind berechtigt - immobilienwirtschaftlich gerechnet ergibt der Kaufpreis Kaltmieten im Bereich um 20 Euro pro Quadratmeter. Das ist mehr als das Doppelte dessen, was die meisten derzeit warm bezahlen. Viele können sich auch das nur durch harte Einschnitte bei den restlichen Ausgaben leisten. Der Friedrichshain-Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) rief daher die Rekommunalisierung als Ziel aus. »Gehört zum angestrebten Weltkulturerbestatus für die Allee nicht auch die soziale Frage?«, fragte er rhetorisch.

Die Blöcke aus der Stalinzeit gehörten schon einmal dem Staat. Doch das Altschuldenhilfe-Gesetz des Bundes zwang das Land Berlin in den 1990er Jahren zum Verkauf - ursprünglich mit weitreichenden Wohnrechten für die Mieter und Vorkaufsrechten für das Land. Letztere sind irgendwann abhanden gekommen. Warum und wann, das teilt die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) auf Anfrage nicht mit. Man bitte »um Verständnis, dass wir bis auf Weiteres zu diesem komplexen laufenden Verfahren keine Auskünfte erteilen können«, heißt es aus der Pressestelle.

Tatsächlich ist das Verfahren äußerst komplex. Denn bereits seit 2015 wurden einige Vorbereitungen getroffen. Damals beantragte die Predac eine Abgeschlossenheitsbescheinigung für die drei Blöcke C-Nord, C-Süd und D-Nord mit 620 Wohnungen. Das ist die Voraussetzung für die Aufteilung in Eigentumswohnungen, die ab 2016 erfolgte. »Ich habe mich mehrfach ins Grundbuchamt begeben, um nachzuvollziehen, was da gelaufen ist«, erklärte Anja Köhler, stellvertretende Mieterbeiratsvorsitzende der Karl-Marx-Allee bei einer Veranstaltung vor einigen Tagen.

Etwas anders lief es beim vierten Block, D-Süd, mit 81 Wohnungen, der im Milieuschutzgebiet Weberwiese liegt. Der Bezirk will sein Vorkaufsrecht ausüben, die WBM ist bereit, die Immobilie zu kaufen. Bis zu diesem Samstag kann die Deutsche Wohnen noch eine sogenannte Abwendungsvereinbarung unterzeichnen, um so doch noch kaufen können. Sie ist besonders scharf ausgefallen, unter anderem soll sie eine Einhaltung der Mietpreisbremse ohne Ausnahmen enthalten.

Komplizierter liegen die Dinge bei den anderen drei Blöcken. Auf dem Papier haben die Mieter ein Vorkaufsrecht. Doch weil im Kaufvertrag keine sogenannte Belastungsvollmacht eingetragen ist, wird keine normale Bank einen Kredit geben - denn die Immobilie kann so nicht als Sicherheit dienen. Hier kam der Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) ins Spiel. Die landeseigene Investitionsbank Berlin (IBB) hat in seinem Auftrag ein Kreditprogramm aufgelegt. Rund 60 Mieter interessieren sich ernsthaft dafür - das entspricht nicht einmal zehn Prozent der Wohnungen. Was auch daran liegt, dass die IBB den »nachhaltigen« Immobilienwert auf etwa die Hälfte der aufgerufenen Kaufpreise schätzt. Die meisten Mieter könnten sich die Kreditraten schlicht nicht leisten. Für eine 90-Quadratmeter-Wohnung, deren Erwerb mit allen Nebenkosten 410 000 Euro kosten würde, würden fast 2000 Euro pro Monat fällig - ohne das sogenannte Hausgeld und Betriebskosten.

Das Modell »gestreckter Verkauf«

Bezirks-Baustadtrat Schmidt ließ ein Modell zur Rekommunalisierung entwickeln, das Finanz-Staatssekretärin Margaretha Sudhof (SPD) in einem Brief an die Mieter in der Luft zerriss. Tatsächlich funktionierte das erste Modell nicht, aber die Art und Weise der Kommunikation sorgte für Verstimmung. »Ich persönlich glaube, dass die Arbeitsgruppe von Frau Dr. Sudhof eher nach Problemen sucht anstatt nach Lösungen«, kommentierte Mieterbeiratschef Norbert Bogedein.

Lösungsorientierter agierte Berlins Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei). Ihre Verwaltung habe bestimmte Prüfungen »sehr zügig vorgenommen« und die Ergebnisse vorgelegt, sagt sie dem »nd«. »Das ist unser Job.« Das Modell nennt sich »gestreckter Verkauf«. Das Land organisiert einen Kredit für die Mieter, die zunächst selber kaufen und in einem weiteren Schritt an eine Wohnungsbaugesellschaft weiterverkaufen. Bis zur nächsten Senatssitzung am Dienstag müssen Bezirk, Finanzsenator und Stadtentwicklungssenatorin noch an der Beseitigung diverser Fallstricke arbeiten. Die Zeit rennt. Bis 5. Januar muss alles unter Dach und Fach sein. Es werden bange Weihnachten an der Karl-Marx-Allee.

Erika Plöntzke

»Das ist Kapitalismus live«, sagt Erika Plöntzke über die Verdrängungssorgen in der Karl-Marx-Allee. Dieser Tage wird sie 80 Jahre alt. Bereits 1957 zog sie mit ihren Eltern in die Allee. Ihr Vater ist als überzeugter Kommunist einige Jahre zuvor aus dem Westteil Berlins übergesiedelt. »Die meisten denken, dass hier nur Parteibonzen gelebt haben«, sagt Plöntzke. »Aber wir haben die Wohnung einfach über einen Tausch bekommen.« 1972, das erste Kind war schon geboren und das zweite unterwegs, zog sie in ihre jetzige Wohnung. 90 Mark Monatsmiete zahlte sie zu DDR-Zeiten dafür, inzwischen kosten die 90 Quadratmeter 784 Euro warm.

»Ich habe 25 Jahre in der DDR als Arzt gearbeitet und 27 Jahre in der BRD«, berichtet Plöntzke. »Ich muss mich ganz schön zusammenreißen, um mit den 1300 Euro gesetzlicher Rente die Wohnung zu finanzieren.« Seit diesem Jahr verreist sie nicht mehr, um Geld zu sparen. »Dabei habe ich es sehr gemocht, mir die Welt anzuschauen.«

1990 wurde die Poliklinik, in der sie arbeitete, geschlossen. Plöntzke musste sich selbstständig machen. »Ich war nach der Wende Alleinverdienerin«, sagt sie. Ihr Mann war durch den Systemwechsel »zutiefst gekränkt«. »Er wollte nicht Versicherungsvertreter werden, wie so viele andere.« Bereits 1996 ist er verstorben. Ihre Kinder hatten lange studiert.
Immer noch aufregen kann sie sich über den Brief von Finanz-Staatssekretärin Margaretha Sudhof (SPD), in dem sie große Bedenken gegenüber dem Rekommunalisierungsplan geltend machte. »Die Frau ist herzlos«, sagt Plöntzke. Solche Menschen gebe es viele in der SPD. »Mein Vater ist deswegen schon 1924 ausgetreten.« Die Politik müsse auch etwas riskieren, fordert sie. Ihr gefällt die durch die Situation entstandene »Solidaritätswelle« innerhalb der Mieterschaft. Auch jüngere Mieter suchten wieder Kontakt. »Für mich ist das Engagement hier eine Art Trauerarbeit.«

Meni Erdmann

»Erstmal habe ich geweint, weil ich wusste, was passiert«, beschreibt sie den Moment, als sie vom Verkauf der Blöcke der Karl-Marx-Allee an die Deutsche Wohnen erfuhr. »Wir könnten gezwungen sein zu kündigen, weil wir uns die Miete nicht mehr leisten können«, so ihre Befürchtung. »Was haben wir verbrochen, dass wir an den Stadtrand ziehen müssen?«, will sie wissen. »Etwa, dass wir auf der falschen Seite der Mauer gelebt haben?« Die 74-Jährige wohnt mit ihrem Mann seit dem Jahr 2000 in der Allee. Schon jetzt können die beiden nur mit Mühe die rund 800 Euro Warmmiete bezahlen, etwa die Hälfte ihres Einkommens geben sie dafür aus. »Ich arbeite weiterhin, um noch etwas dazu zu verdienen«, berichtet sie.

»Nach der Wende hatten wir schon mal alles verloren«, sagt Erdmann. Ihre Betriebe wurden abgewickelt, sie mussten sich neue Arbeit suchen – und wurden schließlich im fernen Schleswig-Holstein fündig. In der Folge mussten sie auch die Wohnung in Treptow aufgeben. Für die umfangreiche Sanierung in Eigenleistung, die in der DDR im Altbau üblich war, haben sie keinen Pfennig gesehen. In die Wohnung in der Allee haben sie inzwischen auch eine Menge Geld investiert. »War das alles umsonst?«

Ein Kauf der mit Steuern und Gebühren über 400.000 Euro teuren Wohnung kommt für sie nicht in Frage. »Wir würden unseren Kinder und Kindeskindern Schulden hinterlassen.« Ersparnisse haben Erdmann und ihr Mann nicht. »Zu DDR-Zeiten haben wir für einen Trabi oder Wartburg gespart.«

»Wem gehört die Karl-Marx-Allee?«, fragt sie rhetorisch. »Doch nicht Ulbricht oder Honecker, sondern den Trümmerfrauen von Berlin«, lautet ihre Antwort. Erdmann und ihr Mann wollen, dass eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft die Wohnungen übernimmt. Erdmann erinnert an die vielen Milliarden Euro, die Deutschland zur Rettung der Banken ausgegeben hat. »Wer rettet uns?«, fragt sie.

Udo Raaf

Der 49-Jährige ist 2007 aus Berlin-Prenzlauer Berg in die Allee gezogen. »Dort hatte die Gentrifizierung schon zugeschlagen, alle älteren Menschen waren schon weggezogen«, berichtet der Herausgeber des Online-Musikmagazins Tonspion.de. »Und das ist das, was hier nun auch droht«, sagt er. Es war die »extrem bunte Mischung« aus Armen und Reichen, Jungen und Älteren, die ihn einst hierher zog.

»Ich wusste zuerst gar nicht, was die Deutsche Wohnen ist«, so Raaf. Dann hatte er sich informiert, »welche leidvollen Erfahrungen andere Mieter mit dem Unternehmen gemacht haben«. Moderate Mieterhöhungen wären für ihn persönlich allerdings keine Bedrohung. »Am Anfang wollte ich die Wohnung sogar selbst kaufen«, erklärt Raaf. Denn für ihn als Selbstständigen, der keine gesetzliche Rente bekommen wird, könne das eine sinnvolle Investition sein. »Aber das Risiko, mit ein paar Tausendstel Stimmrechten zusammen mit der börsennotierten Deutsche Wohnen in einer Wohnungseigentümergemeinschaft zu sein, ist mir zu groß.« Solange der renditeorientierte Konzern die Mehrheit darin hält, kann er kostenträchtige Entscheidungen wie aufwändige Sanierungen durchdrücken – und die Eigentumswohnungsbesitzer müssten zahlen.

»Ich bin auch gerne Mieter und sehe keinen Grund, auszuziehen oder Eigentum zu erwerben«, sagt er. Deswegen hofft Raaf auf den Kauf der Wohnungen durch eine städtische Gesellschaft. »Grüne und LINKE waren sehr aktiv in unserem Sinne, die SPD habe ich eher als Bremsklotz empfunden.« Er erinnert sich eher ungern an die Veranstaltung der Berliner Finanzverwaltung, als sie das Kreditprogramm der landeseigenen Investitionsbank Berlin vorstellte, mit dessen Hilfe Mieter ihr Vorkaufsrecht selber wahrnehmen sollten. »Dort wollte man uns mehr oder minder zum Wohnungskauf überreden.« Einen Brief der Berliner Finanz-Staatssekretärin Margaretha Sudhof (SPD) an die Mieter, in dem sie Probleme bei der Rekommunalisierung auflistete, empfand er als unverschämt. »Der Wille zur Lösung hat gefehlt.«

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