Der Trick mit dem Surfkurs

Callcenter versprechen einen tollen Job, doch die Mitarbeiter erwarten miese Löhne, Überwachung und Arbeitsdruck

  • Martin Eickhoff
  • Lesedauer: 4 Min.

»Guten Tag, mein Name ist … Was kann ich für Sie tun?« Diese Floskel kennen viele Menschen, egal, ob sie bei ihrem Internet- oder Stromanbieter anrufen. Kunden sind froh, 24 Stunden, sieben Tage die Woche einen Ansprechpartner zu haben. Aus Sicht der Callcenter-Beschäftigten ist das ambivalenter.

Die Kritik an Callcentern konzen-trierte sich bislang auf unerlaubte Telefonwerbung. Diese wurde jedoch in den vergangenen Jahren in Deutschland gesetzlich stark eingeschränkt. Gerade erst verhängte die Bundesnetzagentur das höchstmögliche Bußgeld von 300 000 Euro gegen zwei Callcenter-Unternehmen. Mehr als 1400 Verbraucher hätten sich allein über die Firma SG Sales and Distribution beschwert, die telefonisch für Strom- und Gaslieferverträge verschiedener Anbieter geworben hatte, teilte die Behörde mit. Die Anrufer hätten sich häufig als unabhängige Tarifoptimierer vorgestellt und oft mit unwahren oder irreführenden Informationen zu einem Vertragswechsel gedrängt. Wie es beim klassischen Kundendienst läuft, ist hingegen weniger bekannt; ganz abgesehen von dem Ärger über lange Wartezeiten und ständigem Weiterverbinden von einer Person zur nächsten.

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In Deutschland arbeiteten circa 520 000 Menschen in knapp 7000 Callcentern unter oft prekären Bedingungen. Gut ein Viertel aller Call-Center-Agenten muss laut der Gewerkschaft ver.di mit Hartz IV aufstocken. Fast die Hälfte hat einen Zweitjob, um finanziell über die Runden zu kommen. Dabei waren Callcenter-Agenten laut dem Dekra-Arbeitsmarktreport noch 2015 die am häufigsten gesuchte Berufsgruppe in Stelleninseraten.

»In sinnlosen Trainings wurde erzählt, dass der Kunde uns nur als Melkkuh interessiert«, berichtet eine ehemalige Mitarbeiterin eines Callcenters. Demnach sollte es nicht um das Problem des Anrufers gehen, sondern nur um Verkauf. Während ihrer Arbeit musste alles dokumentiert werden. »Wenn ich aufs Klo ging, musste der Arbeitsrechner runtergefahren werden. Ständig wurde nur nach Fehlern gesucht.«

Andere Callcenter-Beschäftigte bestätigen solche Berichte. So hängen in Großraumbüros mit 120 Menschen Displays, auf denen fortlaufend die Verkaufsabschlüsse angezeigt werden. »Bei den drei Schlechtesten in der letzten Stunde leuchtete ein rotes Signal am PC, so dass dies jeder Kollege im Raum sehen konnte«, berichtet ein Mitarbeiter über den ständigen Arbeitsdruck. Alle Telefonate seien aufgezeichnet worden, egal, ob der Kunde sein Einverständnis erklärt hatte oder nicht.

Einzelfälle? Der Leipziger ver.di-Gewerkschaftssekretär Dieter Seyfarth vom Fachbereich Besondere Dienste, der für Callcenter zuständig ist, fasst es kurz so zusammen: »Arbeitsbedingungen in Callcentern sind einfach immer Scheiße.« Zuschläge etwa für Nachtarbeit würden nicht gezahlt und es werde »um jeden Preis getrickst«, erklärt Seyfarth gegenüber »nd«. So wurde auf Druck des Arbeitgeberdachverbandes der Ausbildungsberuf »Kaufmann/Kauffrau für Dialogmarketing« eingeführt, womit aus Sicht des Gewerkschafters lediglich der Mindestlohn umgangen werden soll, von dem Lehrlinge ausgenommen sind. Knapp ein Drittel breche bereits in den ersten drei Monaten ab. Seyfarth fallen nur wenige seriöse Unternehmen in der Branche ein, etwa Pannennotrufdienste oder der Kassenärztliche Bereitschaftsdienst.

Zunehmend wandern Callcenter auch ins Ausland ab. Die französische Kette »Teleperformance« beispielsweise lockt über Social-Media-Kanäle mit der Aussicht, in Lissabon »Summerfeeling« und Job in Einklang bringen zu können. Miete, übertarifliches Gehalt, Surfkurs - alles inbegriffen, wird versprochen. In Wahrheit wird den Telefonisten durchschnittlich 800 Euro brutto gezahlt (in Lissabon 970 Euro). Bis zu acht Menschen müssen sich eine alte Wohnung teilen. Kosten werden für einen Flug im Jahr übernommen. Mitarbeiter fühlen sich getäuscht.

Schon im Vorstellungsgespräch werde Nachfragen zur Arbeit ausgewichen, Arbeitsverträge seien in Portugiesisch verfasst, mit einer kurzen Zusammenfassung auf Englisch. Der Eindruck: Jeder, der ein bisschen reden kann, bekommt eine schnelle Zusage, so dass nicht mehr viel Zeit zum Überlegen bleibt. Vor Ort dann gibt es Druck, dass soziale Kontakte und Aktivitäten innerhalb der Firma bleiben. Und nach einer Kündigung muss die Wohnung innerhalb von 24 Stunden geräumt werden. »Wenn mir mein Papa nicht Geld überwiesen hätte, wäre ich total aufgeschmissen gewesen«, sagt Christoph R. Er wird nicht weiter in dieser Branche anheuern: »Keine soziale Verantwortung, nur Stress«, sagt er.

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