Widersprüchliches Menschenbild

Der Wirtschaftsprofessor Rainer Wieland erklärt die Studie »HartzPlus«

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Berliner Verein »Sanktionsfrei« will für einige Hartz-IV-Betroffene Sanktionen durch das Jobcenter zeitweise finanziell ausgleichen. Diejenigen, denen das gestrichene Geld ersetzt wird, sollen per Los ermittelt werden. Was ist der Zweck der mit der Aktion verbundenen Untersuchung?

Hartz IV wird ja seit Jahren kontrovers diskutiert. In dieser Diskussion spielen auch viele Vorurteile und politische Interessen eine Rolle. Soweit ist das auch normal. Was uns aber fehlt, sind Informationen darüber, was eigentlich die psychisch wirksamen Bedingungen in der Lebenssituation von Hartz-IV-Beziehenden sind.

Zur Person
Der Wirtschaftspsychologe Professor Rainer Wieland von der Bergischen Universität Wuppertal leitet die Studie »HartzPlus«, zu der sich bereits zahlreiche Hartz-IV-Bezieher über das Internet für die Teilnahme gemeldet haben. Der Berliner Verein »Sanktionsfrei« will drei Jahre für 250 Menschen etwaige Sanktionen durch das Jobcenter finanziell ausgleichen.

Eine weitere wichtige Frage lautet: Wie wirken sich diese Bedingungen oder Verhältnisse auf das Verhalten von Hartz-IV-Beziehenden aus? Damit meine ich: Wie sind ihre Charaktereigenschaften, ihre Einstellung zu Arbeit und zum Leben insgesamt? Was uns interessiert, ist der Zusammenhang zwischen den Verhältnissen, in denen die Personen leben, und wie diese auf ihr Verhalten wirken. Denn die Praxis zeigt, dass das Hartz-IV-System die Arbeitsbereitschaft nicht fördert, sondern eher behindert. Und es stellt sich die Frage, warum funktioniert das nicht so, wie sich die Politik das vorstellt.

Wie soll das wissenschaftlich gemessen werden?

Wir sichern, dass 250 Personen drei Jahre lang sanktionsfrei Hartz bekommen, und befragen sie dazu. Befragt wird auch eine Kontrollgruppe mit weiteren 250 Menschen, die nicht von Sanktionen befreit sind.

Wie soll die Befreiung von Sanktionen genau vor sich gehen?

Der Verein stellt den Betrag, um den der Hartz-IV-Satz durch Sanktionen gemindert wird, den Betroffenen zur Verfügung. Dabei gibt es zwei Zahlungsweisen. Falls »Sanktionsfrei« gegen die Sanktion rechtlich vorgeht und Widerspruch einlegt, wird die Zahlung als zinsloses Darlehen mit unbestimmtem Rückzahlungsziel geleistet. Wird der Fall gewonnen und das Jobcenter zahlt das Geld aus, überweist der Proband das Geld zurück an den Verein.

Ansonsten leistet »Sanktionsfrei« die Zahlung unter Anwendung von Paragraf 11a, Sozialgesetzbuch II. Dieser berechtigt Organisationen der Freien Wohlfahrtspflege, existenzsichernde Zahlungen an Bedürftige zu leisten. Und der Verein ist als gemeinnützig anerkannt.

Wie lautet Ihre Kritik am Hartz-IV-System?

Aus der Arbeitspsychologie wissen wir: Die Arbeitsbedingungen in Unternehmen haben Auswirkungen auf die Befindlichkeit. In der Hartz-IV-Debatte stoßen wir auf ein widersprüchliches Menschenbild. In der Arbeitswelt geht man davon aus, dass der Mensch, wenn man ihm die entsprechenden Bedingungen bietet, von sich aus fleißig, selbstmotiviert und unternehmerisch ist. In der Nicht-Arbeitswelt sei der Mensch faul und nur durch Kontrolle motivierbar. In etlichen Unternehmen werden immer bessere Bedingungen und Anreize geschaffen, um Mitarbeiter zu motivieren und Arbeitskräfte anzuwerben. Und bei Hartz IV sollen sich die Leute am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Hier glaubt man, den Menschen mit Sanktionen und Bestrafung leiten zu können.

Gibt es einen theoretischen Hintergrund der Studie?

Wir kennen die negativen Wirkungen, wenn Sanktionen ausgesprochen werden. Schon die Ankündigung von Bestrafungen löst Stress aus, die Betroffenen fühlen sich bedroht, haben Angst vor Kontrollverlust. Unsere Arbeitshypothese lautet nun, dass es sich positiv auf die Arbeitssuche auswirkt, wenn Leute nicht mehr mit der ständigen Angst vor Sanktionen leben müssen. Dadurch verbessert sich das Befinden der Personen.

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