Bundestag soll erstmals Homosexuellen gedenken

Petition fordert Gedenken im Bundestag an homosexuelle Opfer des Nationalsozialismus/ Wolfgang Schäuble will sich erst 2020 mit der Frage befassen

  • Lou Zucker
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Bundestag soll am Holocaust-Gedenktag am 27. Januar erstmals auch den homosexuellen Opfern des Nationalsozialismus gedenken. Das fordert eine Petition, die am Dienstag dem Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble übergeben werden soll. Schäuble stellte eine offizielle Würdigung der homosexuellen Holocaust-Opfer in der jährlichen Gedenkstunde erst frühestens für 2021 in Aussicht.

Ins Leben gerufen wurde die Petition von dem Historiker, Schriftsteller und Pädagogen Lutz van Dijk. Er fordert darin, »erstmals auch an homosexuelle Männer (unter ihnen vor allem an die KZ Häftlinge mit dem Rosa Winkel), aber auch an lesbische Frauen und andere aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Orientierung Benachteiligte und Ausgegrenzte im Bundestag zu erinnern«. 117 Personen haben die Petition unterzeichnet, darunter Vertreter*innen von Organisationen zum Holocaustgedenken, Wissenschaftler*innen sowie Vertreter*innen von LGBTIQ*-Organisationen. Unter ihnen ist auch die Auschwitz-Überlebende, Antifaschistin und Präsidentin des Auschwitz-Komitees Esther Bejerano.

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Vier von fünf Vizepräsident*innen des Bundestages bekannten ihre Zustimmung zur Petition: Thomas Oppermann (SPD), Wolfgang Kubicki (FDP), Petra Pau (Linke) und Claudia Roth (Grüne). Hans-Peter Friedrich (CSU) äußerte sich auch auf mehrfache Anfrage nicht dazu.

Van Dijk hatte das Anliegen bereits im Vorjahr an das Bundestagspräsidium herangetragen. Damals forderte die Petition ein Gedenken im Jahr 2019. Schäuble hatte dies abgelehnt. Als Begündung hatte er angegeben, die Redner für 2019 und 2020 stünden bereits fest: In diesem Jahr soll der Holocaust-Historiker Saul Friedländer zu Wort kommen, dessen Eltern in Auschwitz ermordet wurden. 2020 soll Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum 75. Jahrestag an die Befreiung von Auschwitz erinnern. Van Dijk erklärte gegenüber dem »nd«, er habe dafür Verständnis. Eine weitere Verschiebung als 2021 halte er allerdings »demokratisch und historisch nicht für verantwortungsvoll und akzeptabel«.

Seit 1996 gedenkt der Bundestag jährlich am 27. Januar der Befreiung von Auschwitz durch die rote Armee. 2011 kam nach jüdischen Redner*innen erstmals auch ein Vertreter der Roma- und Sinti-Community zu Wort. 2016 wurde den Opfern von Zwangsarbeit gedacht, 2017 widmete der Bundestag die Gedenkstunde speziell den Opfern von Euthanasie im Nationalsozialismus.

Esther Bejerano schrieb in einer Stellungnahme: »Nach der Befreiung 1945 riefen wir Überlebenden alle «Nie wieder!». Für unsere Kameraden mit dem Rosa Winkel galt das aber nicht: Sie wurden in den meisten Ländern, auch in Deutschland, weiterverfolgt.« Ein »aufrichtiges und umfassendes Erinnern« sei dringend überfällig. Die Historikerin Dr. Joanna Ostrowska, die in Krakau und Warschau judaistische Studien und Gender Studies lehrt, wies auf die symbolische Bedeutung für Polen hin: Eine Gedenkstunde im Bundestag für die wegen ihrer sexuellen Orientierung Verfolgten würde in Polen aufmerksam wahrgenommen, schrieb sie. »Es würde nicht zuletzt auch die Anerkennung von homo- und transsexuellen Menschen in Polen stärken«.

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