Labour kann nun Einfluss nehmen

Scheitern des Misstrauensvotums könnte sich als vorteilhaft für Corbyn erweisen

  • Johanna Bussemer
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit dem Scheitern des Misstrauensvotums gegen die britische Premierministerin Theresa May scheinen Neuwahlen in weite Ferne gerückt. Für Jeremy Corbyn und seine Labour-Partei bedeutet dies zwar, dass auch eine Übernahme der Regierung ferner ist; gleichzeitig könnte Corbyn jedoch seine Version eines linken Brexit indirekt durchsetzen und eine Regierungsübernahme langfristig vorbereiten.

»Wir verhandeln nur, wenn Theresa May die Drohung eines No-Brexit-Deal vom Tisch nimmt«, ließ Jeremy Corbyn am Donnerstagmorgen verlauten, nachdem sowohl Mays Brexit-Vorschlag als auch das von Labour initiierte Misstrauensvotum im Unterhaus gescheitert war. Was zunächst nach einer Sackgasse mit einem ungeregelten Brexit am Ende aussieht, kann für die linke Labourführung zur Lösung ihrer drei großen Probleme führen. Diese heißen: zweites Referendum, Gegner in der eigenen Fraktion und Durchführung des Brexit nach einer Regierungsübernahme.

Ein zweites Referendum will die Labourführung im Gegensatz zum Großteil ihrer Fraktions- und Parteikollegen nicht. Zum einen, um die EU-kritisch eingestellten Wahlkreise in den von Deindustrialisierung betroffenen mittel- und nordenglischen Regionen nicht zu verlieren. Zum anderen, um eine Verschiebung der Machtverhältnisse innerhalb Labours zugunsten des pro-europäischen und eher neoliberalen Flügels der Partei zu verhindern. Denn würde ein zweites Referendum, vor allem durch einen kurzzeitigen Schulterschluss des sogenannten progressiven Flügels, der zwar Corbyn unterstützt, seinen Brexit-Kurs aber anlehnt, mit dem der »Blairisten« zu einem »Remain« (Verbleib) führen, könnten diese beiden Flügel Machtansprüche stellen.

Neuwahlen wollen die Konservativen, wie sich am Mittwochabend gezeigt hat, um jeden Preis verhindern. Zu hoch ist die Gefahr, dass der nächste Premierminister Jeremy Corbyn heißen könnte. Die letzten Umfragen von Mitte Januar sahen Tories und Labour entweder gleichauf oder Labour leicht vorn. Mays Scheitern und die zunehmend stärker werdende Angst vor einem ungeregelten Brexit könnten dieses Verhältnis noch zu Gunsten von Labour verschieben.

Wenn am 29. Januar, wie Donnerstagmorgen angekündigt, eine erneute Abstimmung zum Brexit im Unterhaus stattfinden soll, muss May einen neuen Vorschlag in der Hand haben. Für diesen muss sie verhandeln. Auch mit Corbyn und der Labourführung.

Wenn Corbyn es nun schafft, einige der von ihm genannten Punkte - Handelsabkommen mit britischer Handschrift, geregelte Migration und so weiter - in diesem dann »weichen« Austrittsabkommen festschreiben zu lassen, könnte er sowohl erreichen, dass der Brexit stattfindet als auch, dass er nicht von einer dann ganz frischen Labourregierung durch geführt werden muss.

Unter Umständen könnte es sogar sein, dass unter solchen Voraussetzungen eine Mehrheit für dieses neu verhandelte Abkommen zustande käme: aus Tories mit akuter Angst vor dem Machtverlust und Corbyn-Gegnern in den Labour-Reihen. Die Labourführung selbst könnte und würde wahrscheinlich auch - mit dem Argument, ihre Vorschläge seien nicht weitgehend genug aufgegriffen worden - weiter gegen die Vorschläge der Regierung stimmen.

Unter Druck ist inzwischen auch die EU. Denn durch die bevorstehenden Europawahlen fällt die Möglichkeit einer weiteren Verlängerung der Verhandlungen eigentlich aus. Mit dem Beginn der neuen Wahlperiode Anfang Juni endet die letzte Möglichkeit dafür. Und auch, wenn der ungeregelte Brexit zunächst vor allem die Wirtschaft Großbritanniens treffen wird, werden auch die Märkte der großen EU Ländern ihn schnell zu spüren bekommen. Es bleibt zudem anzunehmen, dass die Brüsseler Bürokratie keinen gesteigerten Wert darauf legt, statt mit den eh schon schwierigen Tories im Anschluss mit einer sozialistisch angehauchten Labourführung zu verhandeln - und deswegen Kompromissen zustimmt.

Corbyn hingegen könnte im nächsten Wahlkampf die negativen Auswirkungen des Brexit-Deals auf die Konservativen schieben. Sollte Labour irgendwann in den kommenden Jahren an die Macht kommen, sind riesige Investitionen nötig, um die marode britische Infrastruktur im Sinne des Labour-Programms umzubauen. Ein Premierminister Corbyn müsste diesen Investitionshaushalt dann nicht mehr, wie jüngst Italien, in Brüssel absegnen lassen.

Die Autorin leitet das Europa-Referat der Rosa-Luxemburg-Stiftung

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