Ein Traum von Großmacht

Europa möchte in den Ukraineverhandlungen eine tragende Rolle spielen. Aber das funktioniert nicht

  • Felix Jaitner
  • Lesedauer: 5 Min.
Weihnachten an der Front: Von russischen Bomben getroffenes Haus in Saporischschja
Weihnachten an der Front: Von russischen Bomben getroffenes Haus in Saporischschja

Mangelnden Optimismus kann man Friedrich Merz wahrlich nicht vorwerfen. »Zum ersten Mal wird die Möglichkeit eines Waffenstillstands vorstellbar«, behauptet der Bundeskanzler während der Verhandlungen zum Ukraine-Krieg in Berlin. Dabei klingt er wie US-Präsident Donald Trump, der am liebsten noch vor Weihnachten ein Friedensabkommen aushandeln möchte. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Denn weder die russische noch die ukrainische Seite ist bislang von zentralen Forderungen abgewichen. Gebietsabtretungen an Russland oder westliche Sicherheitsgarantien für die Ukraine lassen wenig Spielraum für Kompromisse.

Fest steht: Der Verhandlungsprozess nimmt Fahrt auf – doch der Europäischen Union bleibt nur die Rolle des Statisten. Das liegt zum einen an ihrer gemessen an den USA geringeren militärischen Schlagkraft, zum anderen an ihrer internen Uneinigkeit. Die zeigt sich am Streit um die eingefrorenen russischen Vermögenswerte. Die Bundesregierung will sie zur Finanzierung der Ukraine nutzen, was als juristisch problematisch gilt. Belgien – wo der Großteil der Vermögenswerte liegt – fordert daher umfassende Garantien der anderen EU-Länder für den Fall, dass Russland erfolgreich auf Auszahlung klagt. Diese Garantien scheint der Rest der EU aber nicht im geforderten Umfang geben zu wollen. Italiens Regierung wiederum schlägt zur Finanzierung der Ukraine gemeinsame europäische Schulden vor – was wiederum in Deutschland auf wenig Gegenliebe stößt.

Abhängig von Trump

Politiker, Diplomaten und Experten in Europa erklären immer wieder, Russland und die USA dürften nicht über die EU hinweg entscheiden. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die EU-Mitgliedstaaten nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ihre diplomatischen Beziehungen mit Moskau weitgehend eingestellt haben. Der Versuch, Russland außenpolitisch zu isolieren, ist von Anfang an gescheitert. Denn Länder wie China, Indien, Brasilien oder die Türkei waren nicht bereit, dem westlichen Kurs zu folgen.

Eine der ersten außenpolitischen Amtshandlungen Trumps nach seiner Rückkehr ins Weiße Haus bestand darin, die diplomatischen Beziehungen mit Russland wieder aufzunehmen. Deutschland und die EU weigern sich jedoch bis heute hartnäckig, den USA zu folgen und wundern sich, warum sie an den Gesprächen nicht teilnehmen. In der historischen Rückschau ist das deutsche Vorgehen umso erstaunlicher. Denn eine diplomatische Leitlinie der Bundesrepublik im Kalten Krieg war, dass eigenständige Kanäle nach Moskau unabdingbar sind. Wenn die Bundesregierung heute etwas über den Verhandlungsstand erfahren will, muss sie also immer in Washington nachfragen. Und spätestens seit der Verabschiedung der neuen US-Sicherheitsdoktrin dürfte auch dem letzten Diplomaten im Auswärtigen Amt klar geworden sein, dass die US-Regierung nur dann Informationen mit der EU teilt, wenn sie sich davon einen Nutzen verspricht.

Der Versuch, Russland außenpolitisch zu isolieren, ist von Anfang an gescheitert.

Die Nebenrolle der EU im Verhandlungsprozess ist jedoch auch ein Ausdruck der eigenen Überheblichkeit. Kaum jemand in Europas Hauptstädten hat ernsthaft für möglich gehalten, dass Trump die russische Regierung zu Verhandlungen bewegen könnte. Noch weniger hat man in Paris, London oder Berlin damit gerechnet, dass die Gespräche zu konkreten Ergebnissen führen könnten – bis die USA Ende November ihren 28-Punkte-Plan vorlegten. Dementsprechend überrumpelt präsentierten die Europäer in Absprache mit der ukrainischen Regierung einen Gegenvorschlag. Während die USA plötzlich auf einen Ausgleich mit Russland drängen, positionieren sich die EU und Großbritannien als kompromisslose Hardliner.

Bundeskanzler Merz war diese Woche in Berlin sichtlich bemüht, die offensichtlichen Brüche im transatlantischen Lager mit einer demonstrativ zur Schau gestellten Einigkeit zu übertünchen. Er lobte »die positive Dynamik, die wir gerade hier in diesen Stunden erleben« und zollte dem unermüdlichen Einsatz der US-Verhandler höchste Anerkennung. Doch all das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die EU einmal mehr die US-Position weitgehend übernommen hat. Bis vor wenigen Wochen lehnten die Bundesregierung und ihre europäischen Verbündeten Gebietsabtretungen der Ukraine noch kategorisch ab. In Berlin sagte Merz nun, eine Entscheidung über diese Fragen liege bei der Ukraine und öffnete damit eine Tür für Verhandlungen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wiederum hat in Berlin und im Anschluss an das Treffen jede Gebietsabtretung abgelehnt. Das gilt erst recht für eine Räumung der noch unter ukrainischer Kontrolle stehenden Teile des Donbass, die der US-amerikanische Plan vorsieht. Bei dem zweiten Streitpunkt, einem Nato-Beitritt der Ukraine, gibt es erste Bewegung. Zwar bleiben die USA bei ihrer ablehnenden Haltung, sind aber im Gegenzug zu Sicherheitsgarantien bereit. Was die USA »hier in Berlin an rechtlichen und an materiellen Garantien auf den Tisch gelegt haben, ist wirklich beachtlich«, zeigte sich Merz beeindruckt.

Europas Eingeständnis

Allerdings ist unklar, was ein Beistandsversprechen wert ist, das sich an Artikel 5 des Nato-Vertrags orientiert, aber letztlich keine Garantie des Verteidigungsbündnisses ist. Eine von Europa geführte multinationale Truppe für die Ukraine wird Russland, so viel ist sicher, nicht akzeptieren. Ein zentrales Kriegsziel der russischen Führung ist, eine militärische Integration der Ukraine in die Nato zu verhindern.

Die Hoffnungen auf einen schnellen Friedensschluss in der Ukraine sind daher verfrüht. Der 28-Punkte-Plan der US-Regierung hat den Verhandlungen eine neue Dynamik verliehen, die nun in Berlin fortgeführt wurden. Aber er ist ein erster Verhandlungsvorschlag, nicht mehr. Die Bedeutung der Berliner Gespräche ist an anderer Stelle zu sehen: Sie beinhaltet das unausgesprochene Eingeständnis der Europäer, die russischen Forderungen als Teil der Verhandlungen zu akzeptieren. Daraus folgen jedoch keine eigenständigen diplomatischen Initiativen der EU. Sie bleibt weiter außen vor: Die US-Unterhändler kündigten noch in Berlin an, die Verhandlungsergebnisse bilateral mit der russischen Seite zu besprechen.

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