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»Ohne Geschlechterparität bleibt die Demokratie unvollendet«

Eine Wahlgesetzänderung für mehr Gleichstellung von Frauen ist möglich und nicht verfassungswidrig. Frankreich macht es seit 2001 erfolgreich vor.

  • Simone Schmollack
  • Lesedauer: 3 Min.

Nehmen wir nur mal die Paragrafen 218 und 219a im Strafgesetzbuch, die festlegen, unter welchen Bedingungen Frauen einen Schwangerschaftsabbruch durchführen und wie sie sich darüber informieren dürfen, was Ärzt*innen erlaubt ist. Wären Frauen ebenso stark wie Männer im Deutschen Bundestag vertreten, wäre Abtreibung sicher längst nicht mehr rechtswidrig, so wie das bis heute der Fall ist. Das zeigen allein die jüngsten Proteste gegen das Informationsverbot zu Schwangerschaftsabbrüchen und all die Solidarität mit den Mediziner*innen wie die Gießener Ärztin Kristina Hänel, die sich darüber hinweggesetzt haben.

Oder Verkehrs- und Stadtplanung. Würden mehr Frauen als bislang üblich daran beteiligt, gäbe es in den Städten weniger (mehrheitlich von Männern gefahrene) Autos samt Magistralen, dafür mehr Fuß- und Radwege sowie einen dichteren ÖPNV, wovon alle profitieren. Darauf hat die feministische Geographie schon vor zwanzig Jahren hingewiesen.

Weiteres Beispiel: Würden Frauen, ihre Körper und ihre Bedürfnisse grundsätzlich eine größere Rolle spielen, würde nicht erst seit einigen Jahren deutlich darauf verwiesen und intensiver daran geforscht, dass Frauen andere Medikamente benötigen als Männer. So macht der Verband der forschenden Pharmaunternehmen deutlich, dass bei Hormonveränderungen Medikamente für Männer und Frauen nicht nur unterschiedlich dosiert, sondern auch mit unterschiedliche Substanzen bestückt sein müssen. Auch bei Haarausfall ist das der Fall.

Frauen werden bei vielen solcher Entscheidungen aber nicht ausgiebig gefragt - weil sie in den entsprechenden Positionen nicht genauso stark vertreten sind wie Männer. Auch in der Politik ist das der Fall. Der Frauenanteil im aktuellen Bundestag beträgt nicht einmal 31 Prozent, das sind so wenig Frauen wie das letzte Mal vor zwanzig Jahren. In den Landtagen bewegt sich der Frauenanteil zwischen 24 und 40 Prozent, durchschnittlich nicht einmal 30 Prozent. In den Stadt- und Gemeinderäten sieht es mit 25 Prozent noch schlechter aus. Bei den Bürgermeister*innen ist nicht einmal jede zehnte weiblich.

Dieses Missverhältnis haben viele Frauen satt - und fordern ein Paritätswahlgesetz, das Frauen wie Männern die gleiche Teilhabe in der Politik einräumen soll. Der Frauenrat (DF), Dachverband von 60 Frauen-, Familien- und Sozialverbänden mit insgesamt 12 Millionen Mitgliedern, hat jüngst die Kampagne »Mehr Frauen in die Parlamente« für ein Paritätswahlgesetz gestartet. »Ohne Geschlechterparität bleibt die Demokratie unvollendet«, sagt DF-Vorsitzende Mona Küppers. Und verweist auf Artikel 3 des Grundgesetzes: Frauen und Männer sind gleichberechtigt.

Auch andere Institutionen machen mobil für die Parité, darunter die EAF, eine Organisation, die sich für mehr Vielfalt in Führungspositionen einsetzt. SPD-Ministerinnen wie Katarina Barley (Justiz) und Franziska Giffey (Familie) plädieren dafür. Selbst CDU-Kanzlerin Angela Merkel sagte jüngst in einem Interview mit der »Zeit«: »Parität erscheint mit logisch.«

Gegner*innen argumentieren gern mit der Verfassung. So erscheint dem Ex-Verfassungsrichter Udi Di Fabio die Parität als »verfassungswidrig«. »Der Bundestag muss nicht Bevölkerungsgruppen paritätisch abbilden wie eine Ständeversammlung, das ist dem modernen Parlamentarismus fremd«, schrieb er Ende des vergangenen Jahres im »Spiegel«. Da Parteien kein Geschlecht und keine soziale Gruppe ausschließen dürften, liege es letztlich an den Frauen, sich Listenplätze für Wahlen zu erkämpfen, argumentierte er. Küppers kontert: »Das ist ein Totschlagargument.«

Das Parität machbar und durchaus mit der Verfassung vereinbar ist, zeigt Frankreich. Seit 2001 müssen die Kandidat*innenlisten dort je zur Hälfte mit Frauen und Männern besetzt sein, sonst werden sie zur Wahl nicht zugelassen. Auf diese Weise stieg der Frauenanteil in der französischen Nationalversammlung 2017 auf 39 Prozent. Neben Frankreich verfahren auch Länder wie Irland, Belgien und selbst Tunesien nach dem Paritätswahlrecht - mit dem Ergebnis, dass das arabische Land auf einem Frauenanteil unter den Abgeordneten von 36 Prozent verweisen kann.

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