Sichere Herkunftsstaaten: Thüringen blockiert Abstimmung für Grundsatzdebatte

Thüringens Ministerpräsident will mit Abstimmungsblockade eine Grundsatzdebatte über Migration in Deutschland erreichen

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 4 Min.

Für das kleine Thüringen ist es ein ungewohnter großer bundespolitischer Erfolg: Auf Antrag des rot-rot-grün regierten Freistaats hat der Bundesrat am Freitag die Abstimmung über die Entscheidung verschoben, ob die Liste der sicheren Herkunftsländer erweitert werden soll. Wann beziehungsweise wie das Thema in der Länderkammer erneut aufgerufen werden wird, ist derzeit unklar.

Ursprünglich hatte der Bundesrat am Freitag darüber abstimmen sollen, ob die Bundesrepublik die Länder Tunesien, Algerien, Marokko und Georgien als sogenannte sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden. Damit würden Abschiebungen von Flüchtlingen aus diesen Ländern dorthin deutlich vereinfacht werden. Dem entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung hat der Bundestag bereits zugestimmt.

Ohne einen entsprechenden Beschluss des Bundesrates wird die geplante Regelung aber nicht rechtskräftig. Alle Länder, in denen Grüne beziehungsweise LINKE mitregieren, hatten schon in der Vergangenheit deutlich gemacht, dass sie das Vorhaben ablehnen – mit Ausnahme des grün-schwarz regierten Baden-Württembergs.

Nach Angaben eines Sprechers der Thüringer Landesregierung war am Donnerstagabend während der üblichen Vorberatungen zwischen den Ländern für die Bundesratssitzung entschieden worden, die Abstimmung über die Erweiterung der Liste der sichereren Herkunftsstaaten zu verschieben. Dass der entsprechende Antrag dann von der Thüringer Landesregierung gestellt wurde, sei »auf ausdrücklichen Wunsch« von Ministerpräsident Bodo Ramelow geschehen, sagte der Sprecher gegenüber »nd«.

Der LINKE-Politiker und die rot-rot-grüne Landesregierung wollen damit ein politisches Zeichen setzen. Thüringen habe deutlich machen wollen, dass man in Deutschland eine grundsätzliche Debatte über das komplexe Themenfeld Migration und Flucht brauche, statt den Menschen in Deutschland Scheinlösungen vorzugaukeln.

Am Rande der Bundesratssitzung erklärte Ramelow am Beispiel des Freistaats, warum aus seiner Sicht die Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten nicht zielführend ist. Nach seinen Angaben leben in Thüringen derzeit 133 Flüchtlinge aus Tunesien, Algerien, Marokko und Georgien. Von ihnen hätten aber 98 eine Duldung – sie könnten also auch dann nicht abgeschoben werden, wenn die vier Länder zu sicheren Herkunftsländer erklärt worden wären. Allerdings hätten sie im Falle einer solchen Erklärung ein Arbeitsverbot erhalten. »Das ist niemanden erklärbar«, sagt Ramelow.

Zu der grundsätzlichen und bundesweiten Debatte über das Themenfeld Migration und Flucht, auf die Rot-rot-grün in Erfurt nun hofft, gehört nach Angaben des Regierungssprechers die Frage von Altfallregelungen ebenso wie beispielsweise alle Fragen rund um ein deutsches Einwanderungsgesetz. »Der Weg ist nun frei, diese Dinge im Zusammenhang zu betrachten«, erklärt dieser.

Hätte die Länderkammer die Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsländer einfach nur abgelehnt, statt sie von der Tagesordnung zu nehmen, wäre der entsprechende Gesetzentwurf in den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat gegangen, wo ausschließlich über sichere Herkunftsstaaten, nicht aber über die vielen anderen Facetten des Themenfeldes gesprochen worden wäre.

Kritik an der Absetzung des Tagesordnungspunktes kommt nicht nur aus der Bundespolitik. So sagte der Bundesvorsitzende der FDP, Christian Lindner, der Rheinischen Post, die Mehrheit der Deutschen dränge auf eine Einstufung von Tunesien, Algerien, Marokko als sichere Herkunftsländer. Sollte es dazu noch Gesprächsbedarf geben, müssten die Diskussionen im Vermittlungsausschuss geklärt werden, »für taktische Spielchen haben wir keine Zeit«.

Auch aus Thüringen selbst kommt scharfe Kritik an Rot-Rot-Grün. »Mit ihrem Handeln im Bundesrat hat die Thüringer Landesregierung ein zwingend notwendiges Gesetz schuldhaft verzögert«, sagt der migrationspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag, Christian Herrgott. »Ohne eine klare Unterscheidung zwischen Schutzbedürftigen und Personen ohne Bleiberecht machen wir es der Bundesregierung sehr viel schwerer, Ordnung in die Migrationspolitik zu bekommen.«

Weniger als drei Prozent der Asylanträge von Flüchtlingen aus Algerien, Marokko, Tunesien und Georgien würden in Deutschland anerkannt. Indem sich Linke und Grüne weigerten, beschleunigte Asylverfahren und schnellere Abschiebungen in diese Länder zu ermöglichen, seien diese mitverantwortlich dafür, dass Asylbewerber aus diesen Ländern unter größten Gefahren für sich nach Deutschland kämen, um dann in aller Regel abgelehnt und abgeschoben zu werden.

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