»Verdammte Pflicht«

NRW-Minister: Missbrauch von Lügde wird aufgeklärt

  • Bettina Grönewald, Düsseldorf
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Polizeiskandal um verschwundene Beweisstücke zum Kindesmissbrauch in Lügde wird zum Belastungstest für Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU). In 18 Monaten schwarz-gelber Landesregierung hatte sich der 66-Jährige mit harter Hand gegen Kriminelle und öffentlichkeitswirksamen Aktionen als »Paradepferd« im Kabinett von Armin Laschet (CDU) erwiesen. Nach den schrecklichen Missbrauchsfällen von Lügde und ständig neuen Enthüllungen steht Reul nun unter Druck, sich als Chefaufklärer zu beweisen.

Noch agiert die Opposition mit angezogener Handbremse. Rücktrittsforderungen erhebt sie nicht. Alle fünf Fraktionen haben sich vorgenommen, das Thema Kindesmissbrauch nicht parteipolitisch auszuschlachten. Lediglich die AfD drohte mit einem Untersuchungsausschuss, kann den allein aber nicht durchsetzen.

In einer Landtagsdebatte über Kindesmissbrauch stellte die Opposition aber zahlreiche kritische Fragen. Sie verlangte vor allem Aufklärung, wie 155 Datenträger aus Polizeiräumen unbemerkt verschwinden konnten. Der Innenausschuss des Landtags soll nächste Woche in einer Sondersitzung mit der Aufarbeitung beginnen.

Seit 2008 waren auf einem Campingplatz in Lügde mindestens 31 Kinder im Alter von 4 bis 13 Jahren in über 1000 Fällen Opfer sexuellen Missbrauchs geworden. »Es ist für mich unfassbar, was Menschen Kindern antun können«, so Reul. Er sei ebenso fassungslos, dass Datenträger aus einem Raum für Beweismittel bei der Kreispolizeibehörde Lippe verschwinden konnten. »Das wird aufgeklärt, soweit es geht. Hundertprozent.« Diese »verdammte Pflicht« verspüre er nicht nur als Minister, sondern auch als Vater dreier Töchter.

Damit wirft Reul sein ganzes Gewicht als Minister in die Waagschale. In den letzten Monaten profilierte er sich - sehr zum Ärger der Opposition - als unbeugsamer Sheriff gegen Übeltäter. Zuletzt sorgte er mit einer Großrazzia gegen Clankriminalität im Ruhrgebiet bundesweit für Schlagzeilen und ist seitdem gerngesehener Experte in Talkshows. Das ist Anlass für einige Nadelstiche der SPD. Ihr Abgeordneter Hartmut Ganzke hinterfragte mit Verweis auf über 1000 Polizisten bei der Clanrazzia, ob das Personal richtig eingesetzt werde: »Ist der Schutz unserer Kinder nicht das Wichtigste?« Zudem fragte er, wieso Reul als Behördenchef laut eigener Aussage erst jetzt erfahren habe, dass schon seit 20. Dezember Beweismaterial fehle. Aufgefallen war das laut Innenminister erst am 30. Januar. Die Landesregierung habe doch versprochen, den Fall mit Hochdruck aufzuklären, so Ganzke. Nun stelle sich heraus: »Die Ermittlungsbehörden wollten die 155 Dateien über sechs Wochen nicht einmal anfassen.«

Für den Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) gibt es dafür eine Ursache: Personalmangel. »Seit mehreren Jahren weisen meine Kollegen in Lippe darauf hin, dass sie am Limit arbeiten«, sagte Sebastian Fiedler, Bundes- und NRW-Vorsitzender des BDK.

2018 registrierte die polizeiliche Kriminalstatistik allein für NRW 2422 versuchte oder vollendete Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern - ein Anstieg um 3,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die allermeisten Opfer waren zwischen sechs und 14 Jahre alt und weiblich. 340 Jungen und Mädchen waren noch jünger.

Reul versucht nun die Flucht nach vorne und bietet den Abgeordneten eine »ständige Arbeitsgruppe« an, um sie unverzüglich über Erkenntnisse im Fall Lügde aufzuklären. Schnellstens will er Gerüchte überprüfen lassen, dass möglicherweise auch Polizisten mit den Tatverdächtigen unter einer Decke stecken könnten. »Da wird jeder Stein umgedreht.« Die Arbeit von 50 000 Polizeibeschäftigten in NRW dürfe nicht generell in Misskredit gebracht werden, mahnte er. dpa/nd

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