Auf Lastenrädern Wärme spenden

Teilnehmer einer Fahrraddemonstration haben Obdachlosen geholfen, teils zum ersten Mal

  • Johanna Albrecht
  • Lesedauer: 4 Min.

Bei strahlendem Sonnenschein hat sich am Freitagnachmittag im Köllnischen Park in Mitte eine Gruppe von Radfahrer*innen versammelt. Die meisten sind mit Lastenfahrrädern hier. In den Kisten der Vehikel: Jacken, Pullover, Schals, Thermoskannen mit Kaffee und Tee sowie Stapel von Pappbechern. Mit der Fahrraddemonstration, die von hier aus startet, wollen Frederyk Bieseke und Elias Dege auf ihr Projekt »Warmgefahren« aufmerksam machen und Leute zum Mitmachen einladen. Seit letztem Winter verteilen die beiden jungen Männer auf Lastenrädern gespendete Kleidung, Essen und Trinken an obdachlose Menschen.

Zu dem Projekt kam es, als die beiden im Prenzlauer Berg zusammen wohnten und sich darüber unterhielten, dass es in ihrem Kiez viele Obdachlose gebe, erzählt Bieseke. »Im November 2017 haben wir dann beschlossen, dass wir in der Obdachlosenhilfe aktiv werden wollen«, sagt er. Zunächst hatten sie sich Lastenräder ausgeliehen, mit einer Crowdfunding-Kampagne konnten die beiden jungen Männer sich letztes Jahr dann eigene Räder leisten. »In den Kisten der Räder ist ja fast so viel Platz wie in einem Kofferraum, und in der Stadt ist das Rad viel praktischer als ein Auto«, erklärt Bieseke. Mittlerweile wohnen die beiden Engagierten nicht mehr in der gleichen WG, »aber die Spenden lagern wir immer noch dort im Flur«, sagt Bieseke. Der »Verkehrsclub Deutschland« (VCD) hilft der Initiative aus. Bjarne Lotze arbeitet bei dem Verein, der sich für umweltverträglichere Mobilität einsetzt. »Wir unterstützen «Warmgefahren» mit Spenden und Öffentlichkeitsarbeit. Außerdem vernetzen wir sie und konnten ihnen bei der Planung ihrer Projektstruktur helfen«, sagt er.

Die Fahrrad-Demonstration führt nach Kreuzberg über das Kottbusser Tor zum Alfred-Scholz-Platz in Neukölln. Dort erklärt Lotze vom VCD am Megafon: »Es gibt ungefähr 10 000 Obdachlose in Berlin! Gerade im Winter müssen wir auf ihre Probleme aufmerksam machen.« Dann organisieren Bieseke und Dege, wie es weitergeht. Die gespendeten Kleidungsstücke und heißen Getränke in den Kisten der Lasträder werden nach der Demonstration an Obdachlose verteilt. Diejenigen, die mitgeradelt sind, teilen sich in Kleingruppen auf für die Verteilaktion. Einige fahren nach Friedrichshain und in den Prenzlauer Berg, andere bleiben in Neukölln. Für diejenigen, die zum ersten Mal dabei sind, gibt es einen Informationszettel. Darauf sind einige Orte in der Stadt aufgelistet, an denen sich häufig Obdachlose aufhalten.

Das Ziel von »Warmfahren« ist nämlich auch, mehr Begegnungen zu schaffen zwischen Menschen ohne festen Wohnsitz und Nicht-Obdachlosen. Daher lautet die zweite Frage auf dem Flyer: »Wie trete ich einem obdachlosen Menschen gegenüber?« Man solle die Obdachlosigkeit der Personen nicht zum Gesprächsthema machen und Hilfe nicht aufdrängen. Vor allem aber würden sich viele Personen, die auf der Straße leben, über freundliche Kontakte freuen, ist auf dem Zettel zu lesen.

Bieseke und Dege drehen meistens zusammen ihre Runden auf den Lastenrädern. »An einem Tag besuchen wir zwischen zehn und 15 Obdachlose. Aber so genau kann man das nicht sagen. Vor ein paar Tagen haben wir nur drei Personen besucht, weil ein Mann uns eineinhalb Stunden von seinem Leben erzählt hat«, berichtet Dege. »Was die Menschen auf der Straße am meisten brauchen ist Zuwendung.«

Das klingt auch im Gespräch mit Manuel Schlotzhauer und seiner Freundin durch. Die beiden sind häufig auf dem Hermannplatz unterwegs und »schnorren« dort, erzählt Manuel. Die meisten Leute würden unfreundlich und respektlos mit ihnen umgehen. Der 29-Jährige lebt schon länger auf der Straße, seine Freundin erst seit einigen Monaten. »Dass Leute hier warme Sachen verteilen, das habe ich noch nie erlebt«, sagt sie sichtlich erstaunt.

Manuel und seine Freundin bekommen eine Mütze, Pullis und zwei Tassen heißen Tee. Die Begegnung mit der Gruppe, die im Rahmen der Fahrraddemonstration zum ersten Mal bei »Warmgefahren« mitmacht, finden sie gut: »In meinen Augen sind das Helden.«

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